Nichts gespürt

Die letzte Brücke war eingerissen, es gab keinen Weg zurück. Das war das, was er wollte, er hatte es so geplant und angefangen den Plan umzusetzen. Ab einem Zeitpunkt, er wusste nicht mehr genau zu sagen wann, konnte er es nicht mehr aufhalten. „Die Maschine hat 120°C und rennt“, würde man als Maschinist gesagt haben. Aber die Maschinisten hatte da noch gar keine Ahnung, dass er überhaupt einen Plan besaß.

Anfänglich schien es ihm unmöglich, diese langen Jahren der Gemeinsamkeiten einfach abzuschütteln. Einmal hatte er das bereits versucht und war wie ein winselnder Hund zurück gekrochen. Das mit der Gewöhnung ist so eine Sache. Neue Dinge kennenzulernen und zu benutzen eine ganz andere, wenn man sich dem Zustand der allgemeinen täglichen Rituale hingibt. Das ist wie das Rauchen oder exzessiver Alkoholgenuss. Irgendwann merkst du, dass Aufhören anstrengender als einfach weitermachen ist.

Dieses Mal war alles anders. Die Vorzeichen des ausbrechenden Chaos verdichteten sich, bis sie zu einer nicht mehr zu leugnenden Wahrheit verschmolzen waren. Den Schwung der Erkenntnis nutzend nahm er Anlauf und sprang über die sich in den Jahren aufgebauten Mauern. Er landete, entgegen seiner Überzeugung, sanft und weich auf der andere Seite. Und dort waren Menschen. Viele Menschen.

Zaghaft begann er zu kommunizieren und fand heraus, dass nicht alle erst über die Mauer gekommen sind, sondern schon immer hier waren. Allmählich verstand er, dass er einem Irrglauben zum Opfer gefallen war. Es gab auch dieses hier. Wo die Menschen auf kleinen Inseln durch die Welt schaukelten und sich Dinge zuriefen, wo immer sie sich trafen. Nichts blieb verborgen, auch wenn er zuerst befürchtete, er müsse sich nun alles mühselig zusammensuchen. Es dauerte nur ein paar Wochen und er war fester Bestandteil dieser für ihn nun nicht mehr neuen Welt.

Sein seltener Blick zur Mauer war ausdruckslos. Da waren weder Mitleid noch Bedauern oder gar Schadenfreude, nichts. Da war nichts mehr. Für ihn war hinter der Mauer auch nichts mehr. Er war gesprungen, sanft gelandet und hatte nichts gespürt. Nicht mal so etwas wie Abschied, weil das Neue ihn hier sofort aufnahm und er es geschehen ließ.

Ein kleines Gedankenspiel zur Abkehr von Twitter nach mehr als einem Jahrzehnt.

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