Es war einmal…

Ich weiß nicht, wie das bei anderen Menschen in meinem Alter ist, wie sie sich an ihre Jugend erinnern. Bei mir habe ich das Gefühl, es gibt zu viele Löcher, leere Stellen, die ich nicht mehr auffüllen kann. Auf der anderen Seite ist genug übrig, um ein Bild von dieser Zeit lebendig werden zu lassen.

Wenn mich jemand fragt, was ich von 1980 bis 1990 gemacht habe, wäre meine Antwort recht einfach: »Musik gehört.« Entferne ich alles Beiwerk der Dinge, die rundherum geschehen sind, ist Musik das, was übrig bleibt. Die Antwort ist für mich sehr valide. Deswegen leben meine Erinnerungen an diese Zeit ausschließlich (beinahe ausschließlich) von der Musik aus dieser Zeit. Natürlich existiert die Erinnerung an die erste große Liebe unabhängig davon, dennoch muss ich mir eingestehen, wann immer ich daran denke, sehe ich das Album »Holy Diver« von »Dio« vor meinen Augen. Es war insoweit wichtig, als es das Erste war, was ich dem Mädchen zeigte und vorspielte. Später hatte sich dann herausgestellt, dass sie ganz andere Musik bevorzugte und noch etwas später dann bevorzugte sie auch einen anderen Jungen.

Musikalisch betrachtet war es eine großartige Zeit für mich. Aufgewachsen mit meinen nur leicht älteren Onkeln, die tagein, tagaus »AC/DC« auf dem Plattenteller liegen hatten, war mein Weg zum Hardrock, Heavy Metal, Speed- und Thrash-Metal nicht sonderlich weit. Was keinesfalls bedeutet, dass nichts anderes stattfand. Doch als Heranwachsender ist es wichtig, seine Rebellion gegen das Elternhaus auf solide Füße zu stellen. Bands wie »Slayer«, »Metallica« und »Megadeth« drängten sich geradezu auf. Doch auch die deutsche Szene hatte etwas zu bieten. »Risk«, »Destruction« und »Liar« zum Beispiel, um nur drei zu nennen.

Es gab natürlich Bands, die einen emotional so richtig packten. Während einiges die innere Revolution und Abspaltung unterstützte, fanden Bands wie »Iron Maiden« den Weg in mein Innerstes. Das live Album »Live after Death« kann ich heute noch mitsingen. Auch bei allen anderen 80er-Maiden-Alben weiß ich, wie der nächste Song anfängt und kann die meisten mitsingen. Das wundert mich heute insofern, als ich eigentlich dachte, in dem Alter ist das »Anders-als-die-Eltern-sein« die treibende Kraft überhaupt. Und da verorte ich andere Bands als »Iron Maiden«.

Sei es drum, das Live-Album jedenfalls löste etwas in mir aus. Vielleicht drang es auch in mich ein und nahm mich gefangen. Irgendwie sind wir damals auch an das Video zu dem Konzert gekommen. Ich glaube, das konnte aus der Videothek ausgeliehen werden, aber darauf würde ich jetzt keinen Eid leisten. Jedenfalls existierte dann eine Kopie in unserem Haushalt und die Stunden, die ich damit verbrachte, hätten mir anders genutzt, vielleicht die erste Million eingebracht. Es gab natürlich auch das Vinyl dazu. Mehr oder weniger aus Mitleid übergab mir mein Vater eines Tages seine alte Musiktruhe. Die Älteren unter uns werden sich erinnern. Ein markantes Möbel mit Plattenspieler, Kassettendeck, Radio und, zumindest in meinem Fall, einer eingebauten Lichtorgel.

Ich besaß damals noch keine Kopfhörer. Wenn es also Zeit war, ins Bett zu gehen und die Augen zu schließen, rückte ich die Truhe ganz nah an mein Bett, um leise und unentdeckt weiter Musik zu hören. Manchmal schaffte ich es bis zum Morgengrauen und saß dementsprechend motiviert auf der Schulbank. Egal, wie müde ich am Morgen war, glaubte ich, dass das Einschlafen ohne Musik schlicht nicht möglich sei. Wenn ich aus der Schule kam, setzte ich mich an meinen Schreibtisch, holte das Englisch-Deutsch-Lexikon hervor und fing an, die Texte zu übersetzen. Ich wollte wissen, was dort gesungen wurde. Ah, Hausaufgaben, ja, die machte ich natürlich im Schulbus. Wie jeder anständige Schüler damals.

Aus Zeitschriften erfuhr ich, dass Steve Harris die treibende Kraft bei »Iron Maiden« war. Zudem imponierte mir seine Art, auf der Bühne zu spielen. Als wir dann an den Freitagen regelmäßig zur »Metal-Disco« in das »Spektrum« (Castrop-Rauxel) fuhren, hatte ich endlich auch eine Bühne gefunden. Bühne in dem Sinne, dass es vor der Tanzfläche tatsächlich eine Bühne gab, die aber für die Gäste zugänglich war, wenn kein Auftritt stattfand. So fand ich mich eines Abends wieder, mit Unmengen von Bier und diversen Joints im Körper, wie mir der Gedanke kam, ich sei eben dieser Steve Harris. Zu allem Glück, das man dann benötigt, spielte der Mann am Plattenteller prompt verschiedene Maiden Titel. Ich schwebte mit meinem Air-Bass auf der Bühne und vor meinem inneren Auge befand ich mich nicht im Spektrum, sondern vielmehr im Odeon Theater in London oder der Long Beach Arena. Die meisten Titel von der »Live after Death« wurden an diesen Standorten aufgenommen. Es endete dann damit, dass ich mich um ca. vier Uhr am Morgen erschöpft in die Öffnung einer riesigen Bassbox auf der Bühne legte und nur noch schlafen wollte.

So könnte ich weitermachen. Es gibt zu jeder Erinnerung spezielle Musik. Manchmal beschleicht mich die Vermutung, dass ohne die Musik damals in meinem Kopf heute nur eine große weiße Fläche wäre, ohne jede Erinnerung, ohne Leben und Höhepunkte. Ich habe auch nie damit angefangen, Musik technisch zu betrachten. Schlicht aus dem Grund, weil es mir einfach nicht möglich ist. Ich kann nicht sagen, ob die Gitarre zu hart klingt, der Bass jammert oder die Drums zu leise sind. Ich erfahre Musik immer emotional. Sie geht in meine Gefühlsstränge, selten in den Verstand. Vielleicht ist das der Grund, warum ich Erinnerungen so stark mit Musik verbunden in meinem Kopf habe. Und ganz ehrlich, das ist absolut fantastisch für mich.

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