Auferlegte Pflichten

Vermutlich liegt es am Alter und dem Zustand der Welt im Allgemeinen, dass mich Gedanken überkommen, die ich allerhöchstens in einem sehr jungen Gehirn verorten würde. Ich meine damit ein Gehirn aus einem pubertierenden Körper. Ein frischer, junger Verstand, der sich fragt, warum er dies und das machen muss; das Verständnis für die Welt suchend und dabei Konventionen brechend.

In meinem Kopf geht unter anderem eine, für viele vermutlich abstrus anmutende, Frage um: »Mit welchem Recht verlangen wir von neuen Menschen, dass sie sich an unsere Regeln, unsere Vorstellungen und Vorgaben für das Leben halten?« Sie werden ungefragt in diese Welt geboren, sollen nun durch all unsere Instanzen gehen und bitte schön immer auf den vorgegebenen Wegen bleiben.

Unsere Erwartung an die neuen Menschen ist groß. Sie sollen den Fortbestand unserer Spezies auf diesem Planeten sichern. Aus ihrem Leben sollen sie »etwas« machen. Im schlimmsten Fall auch nur das, was sich die Eltern in ihrem eigenen kleinen Horizont von Leben in der Lage sind, vorzustellen. Das aber dann mit Nachdruck. Wenn sie nicht funktionieren wie gewünscht, fluchen wir innerlich, oftmals lautstark und fordern etwas ein, zudem sie nie eine Wahlmöglichkeit hatten.

Mit welchem Recht machen wir das? Wir schauen kopfschüttelnd auf Menschen herab, die einen komplett anderen Plan für ihr Leben haben. Hält sich jemand nicht an die von uns gesetzten Maßstäbe, sind wir schnell mit unserem Vokabular bei Wörtern wie »irre«, »asozial«, »untragbar« und schlimmeren. Neben all den Kampfbegriffen gehen wir dann auch dazu über, die vorher überschwängliche Freude über ein kleines Lebewesen komplett zu vergessen und unsere Unterstützung zu entziehen. Menschen mit einem eigenen Blick auf die Welt und einer eigenen Vorstellung für ihr Leben erscheinen uns mindestens seltsam bis unheimlich. Ich glaube, das ist in Wahrheit nur der Neid, dass wir dazu nicht in der Lage waren, nie den Mut dazu hatten.

Wenn ich mit dem Teen über ihr Leben spreche, bin ich sehr vorsichtig in meiner Wortwahl. Vor allem warte ich, bis sie mich anspricht. Sie hat ihre eigene Meinung über viele Dinge. Insbesondere das Schulsystem. Sie versteht nicht, wie Erwachsene davon ausgehen können, dass dieser Frontalunterricht sie in seiner Form zum Lernen, zur Neugierde anregt. Es gibt viele Beispiele und sie hinterfragt recht exakt all das, was wir bereits als notwendig beigebracht bekamen. Natürlich kann man sich zurücklehnen und sagen, dass das eben mit der Jugend so sei. Nein, es ist nicht so. Wir nehmen das nur nicht wirklich ernst.

Weil wir diese Fragen nicht ernst nehmen, fangen viele unserer Probleme genau dort an. Im Kleinen wie später im Großen. Wir versuchen jemanden, der mit dieser Erwartung nicht konform geht, trotzdem in unser Korsett aus Pflichten und Erwartungen hineinzuzwängen. Manchmal geht das gut, oftmals aber nicht. Der Zustand vieler Menschen spiegelt meiner Meinung nach genau das wider.

Auf meine eingangs gestellte Frage, mit welchem Recht wir, das alles erwarten, habe ich keine grundsätzliche Antwort. Es ist mir nicht klar, woher wir diese absolute Überzeugung nehmen, wir hätten die Ermächtigung, über andere Leben zu bestimmen und zu urteilen. Wir können nur versuchen, selbst die richtigen Fragen zu stellen und es besser zu machen.

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