Dinosaurier

Vermutlich bin ich ein Dinosaurier. Vom Alter her würde es langsam passen. Im Büro bin ich jetzt der Dienstälteste, auch im Freundeskreis besetze ich in der Liste, wer bei Datumseingaben im Internet am weitesten scrollen muss, den zweiten Platz. Deswegen ist diese eine Sache, die ich gerne mache, ein solches Dinosaurier-Ding.

Obwohl ich praktisch mit dem PC aufgewachsen bin, und man davon ausgehen könnte, wenn einer das gewohnt ist, dann liest er natürlich auch viel an diesem Gerät. Natürlich verlangt es schon allein der Umstand, dass ich einen Beruf mit einer Tätigkeit ausübe, die einen PC erfordert, dass ich viel am Monitor lese.

Das ist auch in Ordnung. Es gibt viele Dinge, die liest man halt ausschließlich elektronisch. Aber eine Zeitung kann ich einfach nicht online lesen. Das geht nicht. Ich habe mir Gedanken über die Gründe gemacht. Die vordergründigen, also auch die einfachsten, sind eben die Haptik. Knisterndes Papier, der Geruch des frisch bedruckten Papiers und dazu eine dampfende Tasse Kaffee. Das sind vermutlich die stärksten Sinneseindrücke, die mir verdeutlichen, wie schön es ist, die Nachrichten, Meinungen und Kolumnen so zu verinnerlichen.

Mit der Zeitung bin ich auch um ein Vielfaches fokussierter, konzentrierter. Natürlich lese ich nicht grundsätzlich jeden Artikel, oftmals aber schon. Es gibt so viele Themen da draußen, die streift man nur oberflächlich. Ein Artikel dazu in einer Zeitung animiert mich zum Lesen. Ich habe aber tiefer in mich hineingeschaut, um diese Leidenschaft besser zu verstehen.

Wie bei vielen Menschen spielt bei ihrem späteren Verhalten, ihren Vorlieben und Kenntnissen natürlich die Familie eine große, wenn nicht sogar die überragende Rolle. Wir sind durch das Elternhaus geprägt, haben in der Verwandtschaft beobachtet und abgeguckt. Das mit der Zeitung ist mir bei einem Rückblick in meine Kindheit dann schlagartig klar geworden.

Ich habe vermutlich an beliebiger Stelle in diesem Weblog schon mal über meinen Opa geschrieben. Wie er im Krieg keinen einzigen Schuss abgegeben hat, dass er durch eine Netzhautablösung allmählich erblindete, wurde sicherlich schon erzählt.

Was mir aber aufgefallen ist, als ich nachdachte, dass ich ihn so unfassbar oft am Küchentisch sitzend, eine Zeitung, eine Leselampe und eine starke Lupe in der Hand, vor meinem inneren Auge sehe. Er hat jeden Tag die Zeitung gelesen. Auch als er langsam erblindete, hat er jede Sekunde genutzt, mit Hilfsmitteln die Buchstaben auf den Seiten zu entziffern. So saß er da, mit gebeugtem Rücken, in seiner grauen Stoffhose, am Morgen schon mal ein Baumwollunterhemd darüber, an dem hellgrauen Tisch bei Kaffee und Zeitung.

Dieses Bild ist eingebrannt. Dieser Mann hat mir als Kind so viel gegeben, er hat uns Kinder alle geliebt und trotz seiner später vollkommenen Erblindung nie die Lebensfreude verloren. Das ist, was mich das Papier der Zeitung zwischen den Fingern fühlen lässt, die Druckerschwärze und den Kaffeeduft riechen macht und die nach Aftershave duftende Haut unvergessen in meinem Gedächtnis aufbewahrt.

5 Gedanken zu “Dinosaurier

      1. Eine Weile hab ich sowas genutzt, weil man mit der Schriftgröße auch die Textmenge pro „Seite“ regulieren konnte und ich kognitiv nicht gut zurecht war. Als ich mich zum zweiten Mal auf so ein Ding gesetzt hatte (was Papier deutlich besser verträgt) hab ichs drangegeben. Außerdem blättere ich viel hin und her, um nochmals was nachzugucken weil ich doch manches vergesse. Und das geht definitiv besser mit einem richtigen Buch. Und man kann mal eben den Finger da reinklemmen als Lesezeichen…

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