Keine Beerdigung mehr

Ich war bisher auf vier Beerdigungen. Es hätten mehr sein können, weil natürlich im Laufe meines Lebens viel mehr Menschen aus dem Umfeld gestorben sind.

Ich erlebte die vier Beerdigungen immer gleich. Es gab sehr steife Regeln, die unbedingt eingehalten werden mussten. Kleidung, Lautstärke und Sätze, die man sagen durfte. Kleinste Abweichungen wurden umgehend mit Todesblicken geahndet. Manchmal hörte man später, wer sich denn wie unmöglich benommen hätte.

Den Toten dürfte das so ziemlich egal sein. Mir auch. Ich sage es geradeheraus, ich brauche dieses Ritual nicht. Überhaupt nicht. Meine Trauer und mein Abschied finden lange vorher statt. Trauer ist auch ein sehr dehnungsfähiger Begriff in meinem Fall. Menschen, die ich eher selten sehe im Leben, finden in mir nur einen ganz kurzen Moment, in dem es so etwas wie Trauer geben mag. Ich selbst bin da eher unsicher, ob es das wirklich ist.

Manchmal wird darüber gesagt, dass ich respektlos den Verstorbenen gegenüber bin. Ich glaube eher, dass die Leute, die das sagen, sich selbst respektlos behandelt fühlen (wollen). Weil ich nicht mit ihnen an einem Erdloch stehe, in das ein Sarg versenkt wird. Ein hölzernes Gefäß, in dem der kalte Körper eines verstorbenen Menschen liegt. Das dunkle Erdloch wird auf einem Friedhof gekauft oder gemietet. Dazu wird die Grabpflege beauftragt, wenn man es denn nicht selbst machen möchte. Mir geht dabei vollkommen der Gedanke an die Verstorbenen ab, wenn man sich schon darauf einlassen möchte.

Mir ist schon klar, dass die Hinterbliebenen das für sich machen, nicht für die Toten. Es ist ihre Art der Trauerbewältigung. Das ist eigentlich schade, weil man das auch anders für sich gestalten könnte. Viel früher. Ich mag mich täuschen, denn für mich ist diese Trauer am Grab eine Inszenierung und alles Nachfolgende, wie Grabpflege und sonntägliche Friedhofsgänge, die Aufarbeitung der im Leben verpassten Gelegenheiten, jemandem wirklich nahe zu sein. Deswegen stehen die Menschen an diesem Erdloch und trauern mit tränenden Augen ihrem eigenen Leben hinterher.

Ich erinnere mich sehr gerne und mit viel Emotion an Verstorbene, die mir im Leben nahe waren. Es gibt gute und schlechte Erinnerungen, selbstverständlich. Dafür stelle ich mich aber nicht gesenkten Hauptes an ein Grab und starre leeren Blickes, möglichst würdevoll, auf eine kleine Parzelle gepflegten Rasens. Alles, was ich von diesen Menschen habe, ist in meinem Kopf. Den habe ich überall dabei und kann mich erinnern, wann immer ich das möchte. Die Trauer ist längst vorbei, wenn ich mich erinnere. Was bleibt, sind die Erlebnisse aus einer gemeinsamen Zeit. Das ist, was zählt.

Nicht alle Erinnerungen bleiben, manche verschwimmen im Nebel der Zeit und andere sind immer sehr präsent. Das ist in Ordnung. Wir leben weiter, erleben andere Dinge, machen unsere Erfahrungen und die eigene Vergangenheit verblasst an den geeigneten Stellen. Auch verblasste Erinnerungen können befreiend sein. Denn wir sind die Lebenden. Wir sollen leben.

4 Gedanken zu “Keine Beerdigung mehr

  1. @westsideblogger Ich stimme dem zu, möchte aber noch anfügen dass es Menschen wie Trump gibt, die, um Geld zu sparen, ihre Anverwandten auf einen Golfplatz vergraben. Dass die Toten dieses Formelhafte brauchen um zumindest bei der letzten Ehre noch etwas Würde abzubekommen scheint mir schon nötig.

  2. @westsidebloggerIch stimme dir schon sehr zu, aber ich glaube du gehst da mit einigen auch sehr hart ins Gericht.Wie du schon geschrieben hast ist Trauer ein sehr dehnbarer Begriff und vielen Menschen hilft das Ritual der Beerdigung dabei diese Trauer zu begehen und zu verarbeiten.

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