Ungewissheiten (1)

Wir entstehen als Leben aus Samen- und Eizellen. Sobald wir geboren wurden und selbstständig atmen, sind wir in einem Zustand angekommen, der gemeinhin als »das Leben« bezeichnet wird. Das ist jetzt zwar dünnes Eis und dahin möchte ich eigentlich nicht, aber es muss der Vollständigkeit halber doch gesagt werden: Das biologische Leben passiert schon viel früher.

Der Begriff »das Leben« meint eigentlich etwas anderes. Nach der Geburt sind wir mitten in »das Leben«. Jetzt bräuchten wir nur zu atmen und das Leben passiert halt einfach. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, einfach nur zu leben, ohne darüber nachzudenken. Nichts tun. Am Rande der Gesellschaft auf einem Baumstumpf hocken und nichts wollen. Nur atmen und leben. Aber dann kommt »die Gesellschaft« und sagt dir, dass das so nicht geht. Was soll denn das für dein Leben sein, wird sie fragen und dich an ihren Maßstäben bemessen. Der Baumstumpf, auf dem du sitzt, ist nicht genug. Es muss etwas passieren. Das Leben soll doch voller Erfahrungen stecken; voller Tatendrang sollst du dich in die Welt drücken und dich verhalten, so wie sie denken, dass es einem Leben angemessen ist. Und da gibt es die unterschiedlichsten Facetten, wie ein Leben aussehen sollte. Je nachdem, von wo aus die Gesellschaft auf dich herabblickt. Geht er regelmäßig in die Kirche? Hat er eigentlich einen Job? Warum möchte sie denn keine Kinder?

Das ist »das Leben«, das sie meinen. Engagiert angepasst, einen Nutzen vorspielend und brachial scheiternd, weil es nichts zu gewinnen gibt. Vieles ist schlicht und ergreifend anmaßend, weil der Frack oder das Korsett gar nicht passen und es nie Absicht war, das eigene Leben hineinzuzwängen.

Wenn du »das Leben« erkennen kannst, fragst du dich vermutlich ein (haha!) Leben lang, wie das passieren konnte. Warum kannst du nicht auf dem Baumstumpf sitzen bleiben, atmen und leben? Mehr nicht.

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