Alte Zöpfe

Ich bin beinahe schon berüchtigt für meine Art und Weise, mit Dingen umzugehen, die ihre Zeit hatten und ersetzt werden sollten. Mehrfach habe ich an mir höchst persönlich die alten Zöpfe abgeschnitten und radikale Änderungen durchgemacht. Nicht immer zur Freude anderer Menschen.

Das erste Mal war mir, als ich eine erste, sehr radikale Änderung in meinem Leben anging, gar nicht bewusst. Für mich war es der Lauf der Dinge, mein Umfeld war entsetzt und hat sich von mir distanziert. Das war auch nötig und richtig. Denn da war diese junge Frau, mit der ich eine Familie gründen wollte, auf der anderen Seite war ich. Langhaarig, Lederjacke, Konzerte und Bier. Live fast, die young. Eines Tages, es war an meinem Geburtstag, saß ich im Frisiersalon, deutete auf meine Haare und sagte: „Runter damit.“ Leicht irritiert schaute mich die Frau im Spiegel an: „Ok, wie viel von den Spitzen soll den runter?“.
„Alles.“ Sie zögerte immer noch. „Alles?“
„Ja, weg damit. Die Zeit ist vorbei.“ „Ok, aber ich habe nachgefragt! Hinterher bitte nicht vergessen!“
Sie verwandelte meine Löwenmähne in eine weitestgehend normale Frisur. Ich war zufrieden, sie immer noch stark verunsichert. Sie wollte mir die Haare sogar einpacken. Ich schenkte sie ihr. Es war wirklich vorbei.
Am Tresen in der Stammkneipe fragte der Wirt, der mich seit Jahren kannte, ob ich neu in der Gegend sei. Er meinte das sehr ernst, weil er mich überhaupt nicht erkannte. Erst nach ein paar Sätzen sah ich die Erkenntnis in seinen Augen langsam aufglimmen. Er war der einzige Mensch aus dem Freundeskreis, der mir sagte, dass ich das absolut richtig gemacht hätte. Alle anderen nahmen Abstand von mir. Verräter hörte ich hier und dort. Gut, damit hatte ich gerechnet. Haken dran, es war vorbei.

Die zweite Änderung will ich nur kurz anreißen, sie ist sehr persönlich und betrifft auch andere Menschen, denen ich keinesfalls auf die Füße treten möchte. Es war das Ende meiner ersten Ehe. Schwelende Brände muss man richtig löschen, sonst wird es böse. Es wurde böse. Ich zog die Reißleine. Das war kurz nach meinem verheerenden Motorradunfall, der mich fast das Leben gekostet hätte. Noch während ich ausheilte, zog ich den Strich und beendete eine jahrelange Hölle für alle Beteiligten. Mit einem Rucksack und einer Tasche zog ich an den Niederrhein.

Diese beiden Episoden hinterließen Narben in meinem Leben, aber eben auch viel Erfahrung. Aus den Erkenntnissen zog ich dann für mich die richtigen Rückschlüsse. Immer wieder entfernte ich Menschen aus meinem Leben, die mir nicht guttaten. Auch im familiären Umfeld. Mehr als einmal änderte ich mich selbst in meinem Verhalten sehr radikal. Ein Freund sagte einmal zu mir, er hätte das Gefühl. Ich würde mich einmal im Jahr komplett neu erfinden. Vielleicht ist das so.

Die kürzlich notwendige Veränderung setzte ich von einem Tag auf den anderen um. Meine Ernährung war nicht mehr den altersbedingten Zipperlein entsprechend. Einen Tag später war sie es. Es hat mir gutgetan. Es wirkt und ich bin froh, dass ich mir gegenüber am härtesten durchgreifen kann.

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