Schulterblick

Sätze werden gesagt, Meinungen ausgetauscht, Erfahrungen geteilt und Ratschläge erteilt. Gedanken zu Themen springen im Kopf umher, manche reifen, manche gehen verloren, andere schaffen es durch Tinte auf Papier und andere eben hierher. Nicht selten blicke ich zurück und frage mich, wer ich bin, bei den Dingen, die ich denke und erzähle.

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Beim Warten

Während ich hier sitze und darauf warte, dass die Kaffeemaschine endlich das Wasser in den Filter, der Filter das Kaffeewasser in die Kaffeekanne und die Kanne den Kaffee in die Tasse gekocht hat, läuft im Hintergrund leise ein Hörspiel. Ich nehme nur die Geräusche wahr, verstehe aber nicht, was gesprochen wird. Die Kaffeemaschine höre ich ziemlich deutlich, weil ich endlich die Tasse gefüllt wissen möchte. Bei all dem sinniere ich noch über ein Telefonat von heute nach.

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Versuchung

Manchmal wird man in Versuchung geführt, etwas wider besseren Wissens zu tun. So erging es mir heute auch. Es handelte sich um eine Aufgabe in einem Projekt, die mein Vorgesetzter für nicht richtig deklarierte und demnach sowohl er als auch ich diese Aufgabe nicht wahrnehmen sollen. Da es wohl sehr eng ist in dem Projekt, erhielt ich einen Anruf von der Projektleitung und dem nächst höheren Manager. Ich erkannte schnell, dass sie an meine Gutmütigkeit appellieren wollten. Sie haben da aber etwas an mir nicht verstanden. Wenn ich fachlich ein Problem lösen kann, mache ich das auf jeden Fall. Egal was mir aufgetragen wurde. Bei politischen Ränkespielchen bin ich aber raus. Daran beteilige ich mich nicht. Das Gespräch war schnell zu Ende, nachdem ich meinen Standpunkt klar gemacht hatte. Keine Pointe, kein Plottwist.

Bequem

Natürlich ist für uns schön, wenn es im Leben bequem ist. Bequem ist ja nichts schlechtes, sondern etwas, das wir uns aufgebaut haben und genießen können. Nicht alles ist bequem, was uns zum Glück aus der Komfortzone raus holt.

Schwierig wird es, wenn sich die Bequemlichkeit allmählich in Dekadenz verwandelt. Die Wahrnehmung verändert sich und die Bequemlichkeit wird als vollkommen normal angesehen, ja, als Maß aller Dinge hergenommen.

In unserem Verhalten verwandeln wir uns nach und nach in alles verschlingende Konsumenten, deren eigene Leistung darin besteht, zu kritisieren was andere erschaffen. Vielleicht ist das die Langeweile, die dem ständigen Konsum ein enger Verwandter ist. Vielleicht der Neid, nicht selber erschaffen zu können, vielleicht das Bewusstsein, dass wir genau wissen was los ist, wir es aber nicht ändern wollen.

Als Konsumenten haben wir unsere Verantwortung abgegeben und wurden selber zum Produkt. Aber in der dekadenten Bequemlichkeit kam das gerade recht, denn Verantwortung kann belasten und Stress verursachen.

Jetzt bricht aus der bequemen Ecke ein großes Stück einfach weg. Vermutlich unwiederbringlich. Es ist ein Augenöffner und die Dekadenz tropft an uns herunter, wir wehren uns innerlich mit allen Mitteln. Aber wir können es nicht aufhalten und irgendetwas in uns schreit: „Lass es gehen! Vergiss es und starte neu!“

Wir fangen neu an und es ist nicht leicht. Wir müssen selber denken und Lösungen finden. Technische Anforderungen, dabei hat uns die Technik dahinter nie interessiert, neue Regeln und im Kopf noch das alte, erlernte Verhalten gespeichert.

Das Aufbrechen der Bequemlichkeit ist der Moment, der alle Möglichkeiten, die schon immer vorhanden waren, nochmals vor uns ausrollt, anpreist und wir nur zugreifen müssen. Viele haben zugegriffen und die Phase des Lernens und Erkennens beginnt.

Jetzt arbeiten wir daran es wieder bequem zu haben. Und hoffentlich vergessen wir nicht, was daraus entstehen kann und machen es dieses Mal besser, schöner und netter. Ich freue mich darauf.

Ein privilegierter Rückblick

Wenn mich jemand fragt woher ich komme, sage ich, dass ich im Ruhrpott geboren wurde und auch dort aufgewachsen bin. Rein geografisch ist das absolut richtig, aber der Definition „Ruhrpott“ nach, nur die halbe Wahrheit. Das sehe ich so, weil ich auch im Ruhrpott nie in einer großen Stadt wohnte. Unsere Familie lebte immer in Vororten, die zumeist recht grün waren. Heute lebe ich am Niederrhein im noch grüneren Umfeld.

Ich hatte Zeit meines Lebens Menschen aus anderen Ländern in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Viele meiner Freunde sind nicht hier geboren, oder ihr familiärer Hintergrund ist aus einem anderen Kulturkreis. Es ist fast egal wo du im Ruhrpott wohnst, er ist an vielen Stellen einfach ein farbenfroher Schmelztiegel.

Anders als meine Großeltern habe ich keine Berührungsängste. Nicht früher, nicht heute. In meinem kindlichen Gemüt habe ich die Warnungen vor diesen und jenen Leuten einfach nicht wahrgenommen. Dachte ich viele Jahre. Ich hielt mich immer für offen und als jemand, der keinen Anstoß an der Andersartigkeit unterschiedlichen Kulturen nahm. Irgendwann stellte ich aber fest, dass mein Verhalten in bestimmten Situationen nicht zu meiner (gedachten) Überzeugung passte.

Als Beispiel will ich nur einen Sachverhalt anführen, der exemplarisch für viele andere Situationen stehen soll, in denen ich mich plötzlich voller Scham betrachten musste. Ich parkte mit meinem Auto im Sommer in einer Stadt und wartete auf jemanden. Es war warm und die Fenster am Auto waren geöffnet. Eine Klimaanlage hatten meine Autos zu der Zeit noch nicht. Ich konnte den Bürgersteig gut überblicken und sah am Ende der Häuserfront eine Gruppe junger Leute um die Ecke kommen. Sie alle hatten dieses südländische Aussehen, von dem wir viel zu oft in den Nachrichten lesen und hören konnten. Automatisch schloss ich die Fenster und kontrollierte, ob die Türen abgeschlossen waren.

Anfänglich habe ich mir eingeredet, dass ich das auch bei einer anderen Gruppe gemacht hätte. Das ist aber falsch. Ich hätte es nicht getan. Diese Erkenntnis war ein Schlag ins Gesicht. Es gibt viele solcher Situationen, in denen ich mich so verhalten habe. Danach fing ich an zu überlegen, warum das so ist. Es ist im Grunde so einfach wie schauderhaft. In meiner Erinnerung sind viele Situationen, in denen meine Großeltern stur ihre im Nationalsozialismus gelernte Sicht auf „fremde Menschen“ wiedergaben.

Als Kind war ich einfach zu abgelenkt mit Abenteuern und Spielen, um das wirklich wahrzunehmen. Man kann sagen, ich habe diese schlimmen Aussagen und Wörter weg-gelacht. Doch sie machen etwas mit dir. Schleichend setzen sich diese Dinge fest und steuern irgendwann dein Verhalten. Erst bist du Kind, wächst in Mitten von anderen Kulturen auf, aber du benutzt auf der anderen Seite auch bestimmte Wörter, mit denen diese Kulturen, diese Menschen, abgewertet, diskriminiert, beleidigt werden. Ganz unbedarft, weil das alle machen. Es setzt sich fest in dir.

Als Erwachsener sagst du dann die Wörter nicht mehr, weil es sich nicht gehört. Du denkst sie aber noch, weil sie im Kopf sind. Fest verankert von Kindesbeinen an. Das ist das Erbe (nicht nur) meiner Generation. Die Großeltern geprägt vom Nazideutschland, oftmals selber nicht mehr fähig zu reflektieren. Ich kann das ein wenig verstehen, nach all dem Leid, Kummer und den Entbehrungen, dass einfach die Kraft gefehlt hat, das innerlich aufzuarbeiten. Scheiße ist es trotzdem.

Mir wird es flau ums Herz, wenn ich an die Zeit zurückdenke, wo wir ohne nachzudenken Menschen so schrecklich abwertend genannt haben, obwohl sie unsere Freunde waren. Und das schlimmste, was sie damals erwidern konnten, war Arschloch, oder andere ähnliche Schimpfwörter. Es sind Schimpfwörter. Was wir benutzten war rassistisch und diskriminierend. Es war beleidigend und abgrundtief schlecht. Ich frage mich, was diese Leute damals dabei gefühlt haben müssen. Nicht nur die Kinder, die mit uns zusammen waren, sondern ja gerade die Erwachsenen.

Ich kann gar nicht sagen, ob es bei mir dieses eine Erlebnis gab, welches mich zum Nachdenken brachte. Meine Vermutung ist, dass es die mediale Berichterstattung war, z.B. über die Angriffe auf die Flüchtlingsunterkünfte schon in den 90ern. Das hat sich immer weiter fortgesetzt. In der Schule behandelten wir sehr ausführlich Nazideutschland. Auch so ein Punkt in meinem Leben, der mir klar vor Augen geführt hat, was auf gar keinen Fall jemals wieder passieren darf. Ich habe mich schuldig gefühlt und mich geschämt.

Es hat trotzdem viele Jahre gedauert, bis in meinem Kopf ein klares Verständnis darüber herrschte, was ich früher für Begriffe benutzt habe. Auf der einen Seite ein klarer Gegner jedweder Unterdrückung, Diskriminierung und rassistischer Ausdrücke, aber auf der anderen Seite benutzte ich Wörter, die ganz klar diesen Gebieten zuzuordnen waren. Das, und das Verhalten welches ich weiter oben beschrieb, brachten mich dazu, sehr genau hinzuschauen und hin zuhören.

Anfänglich habe ich Begriffe nachgeschlagen, später im Internet nach Erklärungen und Herkunft gesucht. Es ist ein recht langer Weg aus den leicht verklärten Vororten mit dem gebräuchlichen Sprachgebrauch, hin zu einem Kopf, der nicht mehr in diesen Mustern denkt und arbeitet. Ein großer Fehler ist es in meinen Augen, hier z.B. von Akzeptanz zu reden. Wir brauchen nicht mehr Akzeptanz, sondern müssen mit der Ausgrenzung aufhören. Wir brauchen nicht mehr freundliche Wörter, wir müssen mit der Diskriminierung aufhören. Wir müssen nicht von fremden Kulturen sprechen, wir müssen mit dem Rassismus aufhören.

Mein Weg war, mir einzugestehen, dass das in mir drin ist und ich niemals ohne Fehler sein werde. Aber ich habe angefangen andere Menschen auf ihr Verhalten und ihren Sprachgebrauch hinzuweisen. Wir haben in unserer Familie offen darüber gesprochen und unserer Tochter diese Wörter direkt erspart. Wir haben ihr erklärt, so gut wir es konnten, was Rassismus, Diskriminierung und Sexismus sind und was das mit den Menschen macht. Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem sie mich hin und wieder so lapidar hinweist: „Das war jetzt aber sexistisch, Papa!“ und ich bin stolz darauf.

Für mich hat es funktioniert. Dieses Kind weiß sich auszudrücken, sie steht ein für andere und kennt es nicht anders, als sich gegen diese Formen der Unterdrückung zu wehren. Das war wichtig, denn für mich ist damit der erste Kreis der Hölle durchbrochen und zumindest das lässt mich das ein wenig hoffnungsfroher in die Zukunft schauen. Es ist an uns, dieses Kapitel hinter uns zu lassen.

Dieser Text ist entstanden, weil mich die Sendung Beste Instanz von Enissa Amani an meine eigenen Gedanken dazu erinnert hat. Ich kann die Sendung nur empfehlen, weil sie mir auch wieder gezeigt hat, dass wir das hier für uns in der Familie vielleicht gelöst haben, aber in der Gesellschaft ist noch sehr viel zu tun.

Lebendig begraben

Die Welle rollt. Wir werden irgendwohin gespült, ohne dass wir großen Einfluss nehmen könnten. Vielleicht wachen wir an einem Strand auf, vielleicht auch nicht.

Gestern erst sagte man mir, man könne ja nicht mit dem Leben aufhören. Nein, natürlich nicht, aber ich fange auch nicht aus Eigensinn mit dem Sterben an. Ja, es ist schwer, ja es ist belastend, ja. Immer alles ja (außer Verschwörungstheorien).

Ich betrachte recht nüchtern meine Verantwortung und die ist, meine Familie gesund durch diese Zeit zu bringen. Dazu gehört sicherlich ein gewisser Verzicht.

Auf was verzichten wir aktuell? Wir hier lediglich auf die Treffen mit einem Teil der Familie und ggf. auf den Besuch eines Restaurants.

Freunde kommen, oder wir gehen hin. Aber immer in Abstimmung mit den Umständen der Familien. Wir sagen uns Gegenseitig was wo wie der Status ist. Wenn wir ein mulmiges Gefühl haben, verschieben wir einvernehmlich auf ein anderes Datum. Wir nehmen an den Leben unsere Freunde teil, sodass jeder Bescheid weiß und die Situation einschätzen kann.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf. Ich weigere mich aber Menschen zu treffen, die ich sonst auch nur einmal im Jahr sehe. Dieses Risiko kann ich guten Gewissens ausschließen. Zumal ich doch nicht weiß, wen und was und wo die sich sonst aufhalten. Eventuell sind am Ende noch Aluhüte dabei. Kandidaten hätte ich da welche.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf, wir treffen Vorkehrungen und schützen uns und andere bestmöglich. Ich verstehe nicht, was daran nicht zu begreifen ist.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf, weil wir nicht mehr regelmäßig zum Einkaufen gehen. Unsere Geschäftsbesuche seit Februar können wir vermutlich an zehn Fingern abzählen. Wir haben bisher recht gut aus dem Garten, mit Picnic und Flaschenpost überlebt.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf, weil wir versuchen an der Schule Einfluss zu nehmen und die Hygienekonzepte hinterfragen. Man hätte insgesamt schon vorher viel mehr hinterfragen müssen, dann wäre ggf. die Problematik der Schule, sich auf aktuelle Ereignisse einzustellen, schon viel früher aufgefallen. Jetzt stehen wir da und fragen uns ernsthaft, wie wir das Kind gesund über den Winter kriegen.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf. Zu keiner Zeit. Wir passen uns nur an und machen, was nötig ist. Wir hören was die Virologen sagen, was die Politiker sagen, was das RKI meldet und maßen uns an, dazu eine Meinung bilden zu können und abzuleiten, was wir selber uns und anderen zutrauen können. Grundgedanke ist immer der Schutz aller Beteiligten. Wenn es nur um uns ginge, würden wir uns ja so verhalten wie der unbelehrbare Teil der Bevölkerung.

Lebendig begraben sind die, die sich nicht anpassen können, die nur sich sehen, nur sich am wichtigsten halten, weil ihre Welt sich nur um sie dreht. Ihr seid die Toten, die zu Lebzeiten schon im eigenen Grab hin und her eilen, zu den Takten des Programms*. Graue Leute, die dafür protestieren, niemals etwas zu ändern, unfähig zu abstrahieren. Ihr trefft euch mit weiteren grauen Leuten, um die Wahrheit, die es nicht gibt, in eurer Echokammer immer und immer wieder zu wiederholen. Eure Echokammer ist das Grab, in dem ihr lebendig hin und her eilt und der Rest der Welt euch schon längst überholt hat.

Am Ende sind wir es, die auf der Welle geritten sind, die Verluste erleiden mussten und konnten. Wir warten nicht auf euch, wir gehen weiter mit dem Leben in Liebe.

*Danke an die Band Dackelblut für dieses Album mit diesem Titel 🙂

Entscheidung

Bedingt durch die Covid-19 Pandemie, habe ich zu meinen erwachsenen Kindern bereits seit vielen Wochen nur telefonischen Kontakt. Gerade jetzt ist die große Tochter schwanger und wird im August ihr erstes Kind gebären. Sie wird dies aller Voraussicht nach wohl auch ohne Unterstützung ihres Freundes machen müssen. Der darf bestimmt nicht mit dabei sein.

Mein Auto ist derweil voll mit Kartons in denen unzählige Stücke Kinderwäsche darauf warten wieder getragen zu werden. Hinzu kommt noch ein Kinderbett und diverses Spielzeug. Ich wollte ihr das bereits im März gebracht haben. Dann kam besagte Pandemie mit allen Auswirkungen. Das Risiko, sie anzustecken, war mir einfach zu groß. Jetzt ist es aber, gemessen an den Fallzahlen und meiner strikten Selbstisolation, ein für mich haltbares Risiko.

Morgen also werde ich die knapp 100 Kilometer angehen und die wichtigen Dinge abgeben. Die Freude auf beiden Seiten ist groß und wir werden unsere ganze Energie für den Abstand brauchen. Das ist echt eine Herausforderung.

Genauso, wie die Entscheidung, dass unsere jüngste Tochter an dem wöchentlich stattfindenden Unterricht doch teilnimmt. Wir waren erst strikt dagegen. Nachdem aber das Konzept der Schule wirklich gut gemacht ist und funktioniert, auch die Fallzahlen hier bei uns auf einem erquicklich niedrigen Stand sind, haben wir uns dafür entschieden.

Dass wir uns um solche Dinge in einer derartigen Form Gedanken machen müssen, wer hätte das gedacht?