Damals im Fußballverein, ich spielte in der C-Jugend und war vermutlich um die 12 Jahre alt, verbrachten wir einige Tage in einer Jugendherberge. Und weil wir alle natürlich dem Sport verschworen waren, erkundeten wir im Auftrag des Trainers das umliegende Sauerland mit einem Orientierungslauf.
Wir wurden in Gruppen aufgeteilt und erhielten eine Landkarte. Auf dieser waren die Orientierungspunkte gekennzeichnet, die wir anlaufen mussten. Und weil das dann schon wieder etwas mit Wissen und Lernen zu tun hatte, waren wir nicht allzu begeistert. Dementsprechend motiviert nutzten wir die Karte und sahen zu, dass wir recht schnell die ersten beiden Punkte erreichten. Danach brachen die Dämme in unserer Gruppe und wir probten die Revolution.
Das ging natürlich voll in die Hose. Während wir hinter den Baumwipfeln den stetig sinkenden Lauf der Sonne beobachteten, standen wir plan- und orientierungslos mitten in einem dichten Wald. Von einem Weg zurück in die Zivilisation war weit und breit nichts zu sehen. Wir brüllten die Bäume und die Umstände unserer Misere ohne Hemmungen an. Aber alles Brüllen änderte nichts an unserer Situation. Nur die Bäume schienen interessiert immer näher zu kommen.
So ähnlich geht es mir heute mit den Nachrichten aus der Welt, in der wir leben. Sie prasseln einfach auf mich ein und ich stehe wie damals ziemlich ratlos zwischen den Zeilen, weiß nicht wohin damit. Meine erste Reaktion ist es, einfach zu brüllen. Da es aber nichts und niemanden gibt, den ich anbrüllen könnte, passiert das in meinem Kopf. Ich brülle in mich hinein und nichts wird besser. Da ist auch niemand, dem ich vor das Schienbein treten könnte. Also bleibt all das bei mir.
Die Möglichkeiten in der Welt sind immer größer geworden, im selben Moment schrumpft alles zusammen und passiert nahezu bei mir zu Hause. All der Wahnsinn ist greifbarer, präsenter und disruptiver. Gleichzeitig sitzen wir dann doch nur in einer kleinen Echokammer, in der all das durch die mögliche Beteiligung und Vernetzung von Vielen multipliziert wird. Die Neigung, dagegen anzubrüllen, wird gesteigert, und dann kommt der Moment, der Kommentar mit beißender Gehässigkeit, um endlich Ruhe im eigenen Kopf zu erhalten. Aber es passiert nicht. Keine Ruhe, die Echokammer ist unerbittlich. Dann ist es wie bei einem Serienmörder, der Drang wird unerträglich und es passiert: »BRÜÜÜLLLL!«.
Das ist der Moment, um zu realisieren, dass mein eigener Umgang mit den sozialen Medien, den Nachrichten und der Welt nicht mehr hinnehmbar ist. Ich sehe mich im Wald stehen, die zerfledderte Karte des Trainers in der Hand, die Sonne winkt zum Abschied und kein Weg in Sicht. Aber heute habe ich andere Möglichkeiten. Damals waren wir dem Wald ausgeliefert, es gab keine Handys oder sonstige Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme oder Orientierung. Das ist heute anders. Ich habe nun realisiert, wie mich diese Dauerberieselung Stück für Stück vereinnahmt und in den Abgrund zieht. Es ist doch nicht so, dass ich kein Interesse an den Themen der Welt habe. Ich lebe in ihr und mit dem Menschen, da möchte man sich schon noch informiert wissen. Was ich aber ändern kann, sind viele verschiedene Dinge im Umgang damit. Eine der wenigen guten Eigenschaften des Internets ist, dass ich es einfach sein lassen kann. Nein, ich ziehe nicht in den Wald und lebe in einer einsamen Hütte. Das wäre natürlich das andere Extrem und in der heutigen Zeit vermutlich genauso ungesund. Es geht um Reduzierung und Selektion.
Einige Wochen habe ich bereits versucht, meine sozialen Kanäle etwas einzuschränken. Ich musste dann aber feststellen, dass ich mich wie ein Suchtkranker verhalte und immer wieder die Einschränkungen ein- und ausschalte. Komplett bekloppt, deswegen habe ich alle Apps auf den mobilen Geräten gelöscht, die in Verbindung mit den sozialen Medien standen. Auch in meinen Browsern sind bereits alle Tabs geschlossen. Damals konnte ich die Bäume natürlich nicht fällen, heute aber sind die Möglichkeiten ganz andere. Es liegt immer noch bei mir, wie ich mich verhalte. Dass ich Dinge einfach ändern kann, auch von einem Tag auf den anderen, habe ich in der Vergangenheit mehrfach bewiesen und durchgehalten.
Nachrichten werde ich nur noch selektiv konsumieren und soziale Medien gar nicht mehr. Ich glaube nämlich auch, dass wir innerhalb der Echokammern verlernen, dass es andere Meinungen gibt. Wir befinden uns dort überwiegend in einer Blase mit Menschen, die uns ähneln oder zumindest unsere Ansichten weitestgehend teilen. Konsens ist programmiert. Wenn dann also die Welt mit einer anderen Darstellung daherkommt, fällt es zumindest mir schwerer, diese zu akzeptieren. Dann passiert eben: »BRÜÜÜÜÜÜLLL!«. Das muss aufhören. Ich möchte das nicht mehr.
Das ist jetzt kein Abschied aus dem Internet oder eine Phase der Besinnung. Es ist für mich der Weg zurück in eine Normalität der eigenen Wahrnehmung. Okay, das klingt jetzt dramatischer, als es vielleicht ist. Und doch sehe ich eine Gefahr in der Verschiebung der Wahrnehmung. Wie soll ich auf andere Ansätze eingehen, wenn ich immer nur meinen eigenen Vorstellungen in multiplizierter Form ausgesetzt bin? Ich glaube, genau das ist es, was wir gerade auch bei den Parteien sehen. Die Wahrnehmung entspricht nicht dem, was tatsächlich passiert. PolitikerInnen sitzen in ihren eigenen Blasen, die Macht und Anerkennung suggerieren, ja, geradezu verlangen.
Ich sage ausdrücklich nicht, dass das hier ein Versuch ist. Es ist ein Fakt. Die Änderung ist zwingend. Die Details, in welcher Form ich etwas angehe, werde ich auf Papier schreiben. Nur für mich. In das geheime Buch. *zwinkerzwonkie* Vielleicht findet das eines Tages den Weg in dieses Weblog. Das bleibt natürlich und wird sporadisch mit Beiträgen gefüllt. Vermutlich vornehmlich über Musik. Denn Musik ist, was mich erdet, was mich aus dem Wald holt, atmen und die Bäume als lebensnotwendig erkennen lässt.
Damals, als wir während des Orientierungslaufs vermeintlich im tiefsten aller Wälder des Sauerlands verirrt waren, zeigte sich die Rettung in der aufkommenden Dämmerung. Hinter den Bäumen leuchtete plötzlich eine Straßenlaterne. Wie sich herausstellte, stand diese direkt vor der Jugendherberge. Daraus lerne ich, dass selbst bei aufkommender Dunkelheit ein Licht, eine Lösung, eine Rettung nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Und heute bin ich in der Lage, das Licht selbst einzuschalten.
Vielleicht geht es euch ähnlich und das hier kann ein Denkanstoß für euch sein. Wie auch immer, lasst euch nicht unterkriegen, besinnt euch auf euch und das, was ihr unmittelbar greifen könnt. Familie, Freunde, Garten, Vereine oder was auch immer. Nehmt teil, geht dahin und schaltet den Irrsinn aus.
Das Leben ist ein Orientierungslauf und manchmal ist da auch ein Wald.