Während Kinder aufwachsen, ist es wichtig, dass sie sich in einem entsprechenden Radius vollkommen frei entfalten können. Dadurch gewinnen sie Sicherheit und sammeln Erfahrungen. Wie anders soll das sonst gehen?
Wir haben als Eltern schon früh darüber nachgedacht, wie wir unsere Tochter aufwachsen lassen wollen. Das liest sich jetzt sehr technisch, aber ganz so war es natürlich nicht. Zumal man ein Leben nicht im Voraus planen kann. Es ging anfänglich einfach um ein paar Grundsatzentscheidungen. Wir waren uns zum Beispiel sofort einig, dass immer jemand zu Hause ist, solange sie noch nicht alt genug ist. Wir wollten nicht, dass sie ein »Schlüsselkind« wird. Das nur als Beispiel. Vor allem ging es uns bei fast allen Entscheidungen darum, dass sie Vertrauen fassen kann. Vertrauen ist eines der, wenn nicht sogar das wichtigste Kriterium im Zusammenleben. Und wir müssen von unserer Seite aus natürlich auch vertrauen können.
Es ist nämlich so, dass Kinder, während sie so vor sich hinwachsen, immer mehr Anforderungen an das Leben um sich herum haben. Uns war es dabei wichtig, dass wir nie im Weg stehen, aber gleichzeitig den Betätigungsradius weitestgehend unbemerkt erweitern. Manchmal ist das ein schmaler Grat, der uns als Eltern viel abverlangt hat, während sie vollkommen unbekümmert in der Welt herumhüpfte. Aber genau darum ging es uns. Unbekümmert und frei, so sollten Kinderjahre sein.
Wir haben uns bemüht, den Radius altersgerecht zu erweitern. Wie weit mit dem Rad alleine? Wann bei Freunden übernachten? Wie lange draußen sein? All diese Fragen, die sich einfach von selbst stellen.
Genau da kommt dann das Vertrauen ins Spiel. Auf unserer Seite mussten wir darauf vertrauen können, dass unsere Tochter ihre Grenzen kennt. Sie musste uns vertrauen, dass unsere Entscheidungen richtig sind. Rückblickend kann ich heute sagen, dass wir das ganz gut hinbekommen haben. Klar gab es zwischendurch Diskussionen um gewisse Grenzverläufe. Vor allem im Teenageralter, da kommt man nicht drumherum. Dann wird alles noch einmal hinterfragt und überprüft, ob denn die Eltern nicht übertreiben und warum andere dies oder das dürfen. Bei aller Härte, die solche Diskussionen annehmen können, gewinnt am Ende immer das gegenseitige Vertrauen.
Jetzt wird sie bald volljährig und uns wird ganz wehmütig ums Herz. Einerseits ist es schön zu sehen, dass sie sich selbstsicher und gekonnt in der Welt bewegt, andererseits schmerzt die Erkenntnis, nicht mehr so intensiv gebraucht zu werden. Ich erinnere mich sehr genau an den Tag, an dem mir das zum ersten Mal richtig bewusst wurde. Wir haben hier ein enormes und scharfes Messer für Brot. Jeden Morgen war es meine Aufgabe, damit die Brotscheiben abzuschneiden. Eines Tages fragte ich ganz beiläufig, ob ich ihr etwas abschneiden soll. Die Antwort, sie könne das selbst, kam recht lapidar zurück. Da saß ich und fühlte mich kurz nutzlos. Ja, darüber kann man lachen, aber in diesem Moment ist mir klar geworden, dass es so immer weitergeht. Bis wir nur noch gelegentlich gebraucht werden.
Der eine Radius wird größer, unser wird immer kleiner. Aber das Vertrauen bleibt. Und das ist schön.
