Die Tote in der Sommerfrische

Norderney ist unsere Insel. Wir sind oft im Sommer dort gewesen und haben tolle Urlaube verbracht. Ich kann gar nicht genau sagen, was mir persönlich so sehr gefallen hat. Vielleicht sind es die alten Villen, vielleicht die Promenade oder auch einfach der Umstand, dass im Grunde für jeden etwas dabei ist. Vor zwei Jahren kauften wir zwei Bücher für den Urlaub auf der Insel. Nachdem nun klar ist, dass wir auch in diesem Jahr nicht den Sommer auf Norderney verbringen, fing ich an die Bücher von Elsa Dix zu lesen.

Das erste Buch mit dem Titel „Die Tote in der Sommerfrische“ überraschte mich direkt auf der ersten Seite. Ich hatte gar nicht so genau hingeschaut. Weder das Cover noch die doppelte Bildseite innen brachten mich auf den Gedanken, was für ein Buch ich in den Händen hielt. Der geschriebene Kriminalfall spielt gar nicht in der Jetztzeit. Es ist 1912 und der Adel (auch Landadel) verliert gerade seine Vormachtstellung an die Industrieellen. Das ist auch der rote Faden, an dem sich der Fall entlang hangelt. Versteckt wird dies hinter einer Liebesgeschichte, die sich zwischen dem Ermittlerpärchen anbahnt.

Ich will gar nicht zu viel verraten. Inselfreunde sollten das Buch in jedem Fall ausprobieren, Leser und Fans historischer Kriminalfälle kommen auch auf ihre Kosten. Mir hat der andere Blick auf die mir so lieb gewonnene Insel gefallen. Elsa Dix hat einen feinen Kriminalfall gewoben, in dem die Menschen und die Anforderungen an sie aus der Zeit, bestens eingearbeitet sind.

Noch ein Buch für euch:

Cover des Buches von Elsa Dix: Die Tote in der Sommerfrische.
Elsa Dix – Die Tote in der Sommerfrische

Das Auto und ich

Viele Menschen haben meine Beziehung zum Auto nie verstanden oder verstehen wollen. Autos waren und sind für mich immer Gebrauchsgegenstände gewesen. Na gut, außer in diesen 4 Jahren, als ich mal ein Auto fuhr, weil ich es geil fand. Hatte sich dann aber mit der ersten Reparaturzahlung erledigt.

Als ich den Führerschein machte, das war 1988, gab es die Option gar nicht, keinen zu machen. Außer, man wollte sich gesellschaftlich ächten. Wer keinen machen konnte galt umgehend als armer Schlucker. Wenn du einen hattest, aber kein Auto, wurdest du noch so gerade akzeptiert. Immerhin konnten sie dich dann als Chauffeur für die Disco gebrauchen.

Trotz Führerschein und Auto fuhr ich eine zeitlang mit dem Rad zur Arbeit. Das waren 12 Kilometer und auf dem Rückweg, also nach der Schicht, ging es nur bergauf. Das habe ich dann auch nicht allzu lange gemacht. Und der Weg mit den Öffis zur Arbeit war, nun, sagen wir es diplomatisch, eine Frechheit. Ich wohnte nicht in der Innenstadt, sondern musste aus einem Vorort in die Stadt fahren.

Aber um es mal auf den Punkt zu bringen, ein Auto wirklich gebraucht habe ich erst ab 2004. Durch einen Umzug wurde der Weg zur Arbeit auf 80 Kilometer für eine Fahrt gestreckt. Öffis und Fahrrad waren damit nicht mehr möglich. Also pendelte ich ab 2004 täglich 160 Kilometer jeden Werktag. Um den Wahnsinn zu verdeutlichen: Je nach Staulage waren das die A42 oder die A40 vom Niederrhein in den Ruhrpott und wieder zurück. Oben drauf kamen dann irgendwann noch die Dienstreisen.

Anfänglich nahm ich dazu noch ein sehr, sehr großes Auto. Aber ich kam dann recht schnell zu der Einsicht, dass ich den Tankwagen nicht ständig hinter mir herfahren lassen konnte. Also leaste ich kurzerhand einen Kleinstwagen. Das war zwar wenig komfortabel auf deutschen Straßen, aber mein Gewissen und mein Geldbeutel waren etwas beruhigt. Die Kleinstwagen leaste ich dann alle 4 Jahre neu. Das ging bis 2017, aber dann gab es einen Eklat mit dem Kleinstwagenhersteller und ich beschloss, diesem keinen einzigen Cent mehr zu überlassen.

Dummerweise war ich aber auf das Auto angewiesen. Leasen wollte ich auch nicht mehr. Also, Kauf eines Neuwagens. Der Händler war nicht sonderlich angetan von meiner Wahl. Alles Standardausführung, keine Extras. Nicht mal eine Farbe mit Zusatzkosten konnte er mir andrehen. Immerhin war es ein etwas größeres Auto, weil wir auch planten mit den Snowboards in die Berge zu fahren.

Dann kam Corona und alles änderte sich. Seit Februar 2020 arbeite ich ausschließlich im Home Office. Meine Arbeit kann grundsätzlich so gestaltet werden. Dass ich all die Jahre pendeln musste, war nur dem Kontrollzwang meines Arbeitgebers und, man höre und staune, dem Betriebsrat geschuldet. Der Betriebsrat wollte Home Office nicht als Betriebsvereinbarung abschließen, weil ja die Arbeiter in der Fabrik daran nicht teilhaben können. Aber darüber möchte ich mich hier nicht auslassen. Mein direkter Vorgesetzter erlaubte mir seit 2010 nach Dienstreisen und je nach Arbeitsaufkommen, hin und wieder im Home Office zu arbeiten.

Jetzt sitze ich im dritten Jahr zu Hause und alle, die zuvor kein Home Office gemacht hatten, oder aber sogar der Meinung waren, dass das Arbeiten so nicht funktionieren würde, mussten sich nun eingestehen, dass es geht. Es geht sogar wunderbar, wenn man ein paar Dinge berücksichtigt. Das Auto habe ich seit 2020 ca. 2x vollgetankt. So wenig bin ich gefahren. Wir haben hier alles leicht zu Fuß oder per Rad in erreichbarer Nähe.

Zwischendurch bin ich auf Twitter über Katja Diehl und ihr Thema gestolpert. Und tatsächlich behandelt sie in ihrem gleichnamigen Buch viele der Dinge, die mir seit dem Stillstand des Autos auf dem Hof, auch durch den Kopf gingen. Katja hat es allerdings geschafft, all das in vernünftige Wörter und Visionen mit einem ganzheitlichen Ansatz zu packen. Zu allem Überfluss ist mir vor ein paar Tagen aufgefallen, dass das Auto keinen TÜV mehr hat. Im Januar abgelaufen. Und nun rattert es in meinem Kopf, was für uns als Familie möglich ist. Ganz ohne Auto ist für mich persönlich aus gesundheitlichen Gründen schwierig. Nicht unmöglich, aber schwierig.

Vermutlich würde ich an die Schwierigkeiten nicht denken müssen, wären viele der Ansätze von umgesetzt. Ich sehe in den Überlegungen von Katja Diehl mittlerweile die einzige Möglichkeit, die Mobilität und die Umwelt gleichermaßen zu verbessern und zu schützen. Für mich wird es vermutlich zeitlich nicht mehr reichen, aber ich hoffe für meine Kinder und Enkel, dass der Standard wird, wenn wir über Mobilität denken, sprechen, diskutieren und vor allem umsetzen.

Noch ein Buch, das ihr lesen solltet.

Schwarzes Herz

Ab einem Punkt legst du das Buch nicht mehr weg, du musst es durchlesen, weil du hoffst, dass am Ende alles gut wird.

So habe ich das Buch von Jasmina Kuhnke erfahren. Ich fing an zu lesen und durfte nicht mehr stoppen. Normalerweise würde ich über ein Buch, das mich derartig in den Bann zieht, schreiben, dass es ein gutes Buch ist. Hier widerstrebt es mir in solchen Kategorien zu denken.

Jasmina erzählt, wie sie aufgewachsen ist. Der Inhalt ist so persönlich wie grausam. Selbstverständlich gibt es Menschen, die das Geschehene als emotionale Übertreibung abtun. Genau diese Menschen stehen auf der anderen Seite, sind nicht betroffen vom Rassismus, der in so unfassbar vielen Facetten mal offen, mal verdeckt auf die Betroffenen einschlägt.

Ich bin 12 Jahre älter als die Autorin, weiß und grundsätzlich privilegiert aufgewachsen. Armut kenne ich nicht. Als Jasmina geboren wurde, habe ich mir mein erstes Iron Maiden Album gekauft. Ich bin ein Jugendlicher aus den 80ern und pubertierte als Pommesbudengeneration so vor mich hin. Wenn Jasmina in ihrem Buch vom Umgang mit Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe schreibt, nicke ich zustimmend.

Ich war mit einem etwas älteren Jungen aus dem Senegal befreundet. Er bot sich an, mir Englisch beizubringen, meine Eltern wollten „so einen“ aber lieber nicht in der Wohnung haben. Am Ende saßen wir in der Kneipe und tranken Bier, während wir uns auf Englisch unterhielten. Ich war oft bei unseren türkischen Nachbarn zum Essen eingeladen, weil ich mit den Kindern der Familie spielte. Meine Oma schüttelte sich und bemerkte bissig, dass ich aufpassen soll was ich da esse.

Ich habe Menschen nie so gesehen. Ich weiß nicht warum, denn das Umfeld war komplett anders. Und genau das ist, was Jasmina Kuhnke erlebt hat. In allen perversen Ausprägungen. Sie beschreibt eindrücklich, was Rassismus mit ihr und ihrem Leben gemacht hat. Ich habe oben geschrieben, dass ich genickt habe zu ihren Ausführungen, weil ich das kenne. Das bedeutet nicht, dass ich auch nur ansatzweise wüsste, wie dem Rassismus ausgesetzte Menschen sich fühlen. Ich habe nur gesehen und gehört, wie grausam Menschen mit anderen Menschen umgehen. Fühlen oder erfahren musste ich das nie.

Deswegen ist das Buch „Schwarzes Herz“ so wichtig. Es ist von der Autorin ein Statement, eine Anklage und eine Befreiung gleichermaßen. Für uns ist es ein Spiegel, ein Schlag ins Gesicht und ein Ansporn. Wir müssen unseren Blick auf die Menschen fokussieren, nicht auf unsere eigenen, irrationalen Ängste vor, ja, vor was denn eigentlich?

Wenn wir es schaffen den Menschen zu sehen, dann wird vielleicht irgendwann alles gut. Jasmina und allen anderen Menschen mit diesen Horrorerfahrungen wünsche ich das aus tiefstem Herzen.

Lest das Buch!

Cover "Schwarzes Herz" von Jasmina Kuhnke
Cover „Schwarzes Herz“ von Jasmina Kuhnke

Meter machen

Um Erfahrungen im Leben zu sammeln, muss man auch mal Meter machen. Meter in Form von Reisen, andere Orte besuchen, selber organisieren. Und manchmal auch alleine unterwegs sein. Das gilt sowohl für uns Erwachsene, als eben auch für Kinder. Beim Nachwuchs sind wir als Eltern ja gefordert, den Bewegungsradius stetig in einem passenden Maße zu erweitern. Eigene Erfahrungen sind durch nichts zu ersetzen. Wir haben das bei unserer Tochter, die bis vor 2 Jahren hier im Internet einfach nur Meter genannt wurde, natürlich auch gemacht.

Jetzt ist sie auf dem Weg als Teen zur jungen Frau zu werden. Es sind zwar noch ein paar Jahre, aber wir können es sehen und spüren. Sie wird erwachsen. In der Folge kommen da natürlich andere Wünsche und Erwartungen bei ihr, die wir dann, nun, aufnehmen und irgendwie bewerten müssen. Aber im Grunde ist da nicht viel für uns zu tun. Sie ist selber in Lage ihre Grenzen zu bewerten. Das konnte sie eigentlich schon immer. Ich erinnere mich da gerne an die Zeit, als sie Laufen lernte. In der Zeit sind Treppenstufe ja erst mal der Endgegner. Bevor sie versuchte eine Stufe herunter zu steigen, legte sie im Wohnzimmer Kissen auf den Boden. Dann stieg sie auf die Kissen und wieder herunter. Immer wieder. Wir haben uns damals gefragt, was sie da eigentlich macht. Später war uns klar: Sie hat Treppenstufen geübt.

Jetzt ist die nächste Stufe erreicht. Nach den langen Monaten ohne großartig Kontakte mit Gleichaltrigen, nach allen Einschränkungen der Pandemie, ist der Wunsch die Oma zu sehen gekommen. Das ist vollkommen verständlich. Eigentlich wäre es so, dass wir sie in eine Stadt fahren, in der sie dann von der Oma abgeholt wird. Aber sie mag keine lange Strecken mit dem Auto fahren, außer es lässt sich nicht vermeiden. Und sie nimmt das mit der Umwelt sehr ernst. Deswegen hat sie sich entschieden, die gesamte Strecke mit dem Zug zu bewältigen.

Das ist das erste Mal, dass sie eine so lange Strecke alleine zurücklegt. Sowohl auf der Hinfahrt, als auch auf der Rückfahrt muss sie einmal umsteigen. Wir haben uns natürlich darüber unterhalten was passieren kann. Zugverspätungen und Ausfälle, andere Wagenreihung, anderes Gleis und was es sonst noch so geben kann. Macht ihr alles keine Angst. Sie sagt, sie kann ja die Leute von der Bahn fragen, sie kann anrufen und sich bei uns Rat holen. Alles in allem ist sie überzeugt, die Fahrt zu bewältigen. Das sind wir auch. Vorsorglich haben wir das Ticket für die erste Klasse gebucht. In ihrem Alter ist das preislich zu verschmerzen.

Am Montag geht es los. Und es wird ein Schatz an Erfahrungen gehoben. Für die Tochter und auch für uns. Und ich hoffe, ich behalte die Nerven… 🙂

Walfach

Blick auf das Meer. Wellen mit Schaumkronen rollen ans Ufer.

In der Delfinschule herrschte große Aufregung. Für das Schuljahr nach dem großen Schwimmen, wenn die älteren Meeresbewohner sich einige Zeit zurückzogen, um mit Nachwuchs zurück zu kommen, hatte die Lehrerin Frau Kraken eine Neuerung angekündigt. Und nun war es endlich soweit. Alle Delfinkinder flosselten um ihre Plätze herum und konnten es nicht erwarten.

Frau Kraken schwang sich mit ihren Tentakeln in den Kreis der unruhigen Schüler. „Ruhe bitte! Kinder! Haltet endlich still und hört auf zu keckern!“

Langsam senkte sich eine unbeständige Ruhe über die Klasse. Trotzdem war die Spannung auf den Flossen zu sehen. Macki, der Klassensprecherdelfin, traute sich endlich die von allen erwartete Frage zu stellen: „Frau Kraken, was ist das neue Fach in diesem Schuljahr?“ Die Lehrerin tänzelte beschwingt auf ihren Tentakeln über den Meeresboden, sichtlich erfreut über die Neugier in der Klasse. „Nun, ich habe mir gedacht, wir könnten den Unterricht etwas, hm, nun, praktischer gestalten. Wir haben ansonsten nur aus den Algenbüchern der Vergangenheit gelesen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ihr eure Umwelt anders erfahrt. Theorie ist nur die Grundlage. Jetzt geht es an das richtige Leben.“

Unruhe breitete sich wieder in der Klasse aus und Frau Kraken drückte leicht auf den Beruhigungstintenfisch. Eine kleine Wolke dunkler Tinte ergoss sich in der Mitte der Klasse. Sofort kehrte Ruhe ein. „Gut, dann kann ich ja weiter erklären. Ihr habt bereits viel über die Mitlebewesen in diesem Gewässer erfahren. Jetzt wollen wir dieses Wissen festigen, prüfen und erweitern. Das werden wir nur schaffen, wenn wir die Mitbewohner selber so richtig kennenlernen. Dafür haben wir Lehrer für euch ein neues Gerät beschafft.“ Frau Kraken nestelte zwischen ihren Tentakeln herum und zog einen kleinen Gegenstand hervor. Er war an einem Ende leicht rot, lief dann über das gesamte Spektrum der Farben hin zu einem sandigen Weiß. Ein Trichter aus Kalk steckte in dem kleinen Kasten.

Die Klasse flosselte nervös um die Lehrerin mit dem kleinen Kasten herum, das Tuscheln und Keckern der Delfinschüler wurde lauter. Frau Kraken reckte eine Tentakel in die Höhe. „Das ist ein Korallenrekorder. Damit kann man die Sprache des Meeres aufnehmen. Wir wollen diese kleinen Geräte benutzen, um unsere Umwelt zu interviewen. Und genau das ist eure Aufgabe. Ihr sucht euch einen Meeresbewohner aus und versucht so viel wie möglich aus seinen Erzählungen zu erfahren.“

Frau Kraken gab den jungen Delfinen weitere Instruktionen zu der anstehenden Aufgabe. Die Klasse war kaum noch zu halten und mehr als einmal drückte sie den Beruhigungstintenfisch. Die Schüler hatten ab heute bis zum Vollmond Zeit, ihre Interviews fertigzustellen. Als sie die Schüler losschickte, konnte sie für einige Minuten im aufgewirbelten Sand kaum etwas erkennen. Frau Kraken war zufrieden.

Macki war der beliebteste aller Delfine. Klassensprecher und Mannschaftsführer beim Seeigelkicken. Mehr konnte man kaum verlangen als Schuldelfin. Um ihn herum versammelten sich einige aus der Klasse und erwarteten seine Ideen. Macki, von Natur aus nur für die große Aufgabe zu gewinnen, blickte sich um. In seinem Kopf schossen die Bilder der ihm bekannten Meeresbewohner hin und her. Da! Der Buckelwal. Kraftstrotzend. Der war einfach genial. So kräftig, so unheimlich und so, ja, eben das was man von ihm erwarten würde. Macki, der Klassensprecherfisch und Mannschaftsführer, würde mit seiner Gruppe einen Bartenwal interviewen.

Sie waren zehn junge Delfine, bewaffnet mit ihren Korallenrekordern, auf der Suche nach einen Buckelwal. Macki führte die Gruppe an. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie fündig wurden. Beinahe hätten die anderen Delfine die Lust verloren, aber Macke trieb sie weiter. Hinter dem großen Riff sahen sie dann erst die gewaltigen Schatten auf dem Meeresboden schweben, dann die stolzen Körper selber. Ohne auf ein Kommando zu warten stürzten die Delfine sich auf einen der Wale in ihrer Nähe.

Macki war natürlich schneller als alle anderen und tauchte unverhofft vor dem großen Auge des Wals auf. Dieser erschrak nicht gerade, schien aber auch nicht sonderlich erfreut zu sein. Nach und nach poppten die anderen Delfine im Sichtfeld des Wals auf. Irritiert blickte er von einem zum anderen, zuckte kurz mit dem Buckel und wendete sich mit einem Flossenschlag von den Jungtieren ab. Die ließen jedoch nicht locker. Es gab immerhin eine Schulaufgabe zu lösen!

Immer wenn Macki zu einer Frage ansetzen wollte, kamen seine Verfolger und plapperten ohne Umschweife auch auf den Wal ein. Das Wasser um den Kopf des alten Wales war wie von Sinnen, es kochte und die keckernden Geräusche der jungen Delfine ging ihm zusehends auf die Walnerven. Immer wieder wand er sich, aber es gab kein Entkommen vor der jungen, neugierigen Meute. Dann hielten sie ihm auch noch so kleine Kästen entgegen.

Sie hatten nun den alten Wal seit Stunden in der Mangel, aber noch keiner hatte auch nur ein Wort, eine Information aus ihm herausbekommen. Er wand sich immer wieder von ihnen ab, sie schwammen hinterher, wieder in sein Sichtfeld, keckerten herum, hielten ihm die kleinen Korallenrekorder ins Gesicht, löcherten ihn mit Fragen. Er war genervt, aber er durfte den Kindern natürlich nichts tun. Das Verbot sich einfach.

Macki ging dazu über, den Wal nicht nur mit Fragen und seinem neuen Gerät zu malträtieren, er tippte ihm mit seinen Flossen auch ständig irgendwo herum. Der Wal erinnerte sich an die ruhigen, einsame Zeiten, wie schön es war durch die Wasser zu ziehen, den Strömen mal entgegen, mal mit ihnen. Und dann, vollkommen unverhofft, als es unerträglich wurde, diese keckernden, schwirrenden und löchernden Jungdelfine zu ertragen, ergoss sich ein langgezogener, befreiender Ton aus dem Wal. Er hörte nicht mehr auf und klagte über viele Kilometer sein Leid. Wie sie ihn ausfragten, wie sie ihn nervten.

Mackie nannte es später, in einem Anflug von besonderer Intuition, Walgesang. Er hatte nichts, keine Information aus dem Leben der Wale, keine persönlichen Erfahrungen auf dem Korallenrekorder, außer seinem Walgesang. Alle andere Jungdelfine hatten bereits aufgegeben und ihre Geräte ausgeschaltet, als sich der Wal laut bei seinen Artgenossen beschwerte. Frau Kraken war erst erstaunt, dann begeistert. Für das nächste Schuljahr setzte sie ein neues Fach für die kommenden Schüler an: Walfach. Alle waren begeistert, nur die Wale nicht.

Aus dem Leben

Wenn du in jungen Jahren die Stadt wechseln musst, all deine Freunde hinter dir lässt, weil deine Eltern das so bestimmt haben, bist du nicht das glücklichste Kind. Auch wenn es von Vorort zu Vorort geht, die Umgebung ähnlich ist, aber die Wohnung eben ganz anders, das Haus voll mit anderen, fremden Menschen, lauten Menschen, dann trägt das nicht weiter zur Umgewöhnung bei.

Tagsüber die fremden Kinder in der Schule, nachmittags mit der Mutter allein, weil Vater in anderen Ländern das Geld verdient. Hinten aus den Fenstern blickst du auf unzählige andere Fenster, mit Gardinen, ohne Gardinen, geputzt oder dreckig, mit Gesichtern, die auch hinaus schauen, ohne Gesichter und manchmal auch, so denkst du, weil sie immer leer sind, die Scheiben und Rahmen, manchmal auch ohne Menschen in den Räumen dahinter.

Schaust du vorne raus, siehst du die Frittenbude, deren Fettgestank die Straße beherrscht, wenn im Sommer nur ein leichter, heißer, abgestandener Wind geht, morgens, wenn das Fett abgetragen von der Nacht auf den Steinen liegt, dreht sich leise die Lüftung des Kühlhauses des kleinen Ladens an der Ecke und drückt den Geruch rohen Fleisches in die Straße.

Nein, du bist nicht sonderlich glücklich mit dem Ortswechsel. Aber es interessiert niemanden. Jammer nicht, heißt es, such dir neue Freunde, bist doch sonst nicht so verklemmt.

Freunde suchen, in einem Umfeld, das du bisher so nicht kanntest. Rechts unten wohnen Alkoholiker mit drei Kindern, ein Junge in deinem Alter. Hinterhältig und gemein ist er. Aber auch ohne großen Freundeskreis. Man findet sich halt. Links im Haus nebenan, diese Familie mit sechs Kindern, von unterschiedlichen Männern, niemand geht arbeiten. Halt dich davon fern, heißt es eindringlich. Doch genau dort findest du deinen besten Freund, zwar erst viel später, aber er ist das, was einen Freund ausmacht. Die Erkenntnis kommt dir leider beinahe zu spät, weil ihr dann schon kurz davor seid volljährig zu werden und sich eure Wege bald trennen werden. Bis dahin ist es aber ein langer Weg, den du erst einmal mit den falschen Leuten antrittst.

Es gibt nicht viel, was Kinder zwischen den Häuserschluchten machen können. Ein verrottender Abenteuerspielplatz wird durch Garagen ersetzt, der Spielplatz ist bald von Müttern mit Kleinkindern besetzt, die euch nicht haben wollen. Ihr seid zu grob, zu laut und zu unflätig. Vielleicht haben sie recht. Vermutlich stimmt es.

Deswegen spielt ihr auf den Garagendächern, mit Fußbällen zwischen den Garagen, dass es bis nach Warschau hallt. Der Sportplatz ist unter der Woche geschlossen und wer sich darauf erwischen lässt, ist dran. Der Platzwart ist ein so furchteinflößender Mensch, dass sich niemand in dem kleinen Ort, wo jeder jeden kennt, auch nur daran denkt, den Platz ohne Erlaubnis zu betreten. Wir Siedlungskinder haben eh keine Erlaubnis zu erwarten, außer die Eltern bezahlen den Beitrag, dann darfst du zu Trainingszeiten erscheinen und dich vom Trainer anschreien lassen.

Das Gewummere der Bälle an den Blechtoren der Garagen ruft nach nur kurzer Zeit den Verwalter auf den Plan. Er wohnt nur ein oder zwei Eingänge entfernt in seiner Verwalterwohnung. Sein Sohn ist schon erwachsen, aber nicht ganz klar im Kopf, wie uns scheint. Er kommt uns sonderbar vor. Sein Vater auch. Ein Choleriker wie er im Buche steht. Schreit los, noch bevor sich die Haustür hinter ihm geschlossen hat. Wäre er intelligenter vorgegangen, er hätte uns übermütigen Schnösel alsbald am Schlafittchen gehabt. So aber entziehen wir uns ihm unter lauten Gebrüll unsererseits, was sein Gezeter nur noch anheizt und bald ist das Gewummere der Bälle an dem Blech der Garagentore nur ein leises, zartes Harfenspiel. So geht es den Sommer über. Wir legen es darauf an, dass er wild brüllend aus seiner Wohnung gerannt kommt und wir ziehen uns, ihn beständig weiter provozierend, in sichere Entfernung zurück.

Ich muss heute gestehen, dass wir uns in dieses Spiel hineinsteigerten. Eines Tages, als wir ihn wieder aus der Wohnung geholt hatten, stiegen wir auf die Garagen und setzten dort unsere Schimpftiraden fort, während er unten zwischen den Garagen mit seinem steifen Bein, krebsrot im Gesicht, herum humpelte und uns drohte. Wir lachten, bis die Tränen aus unseren Augen rannen. Irgendwann gab er auf, er konnte ja mit seinem Bein nicht auf die Garagen klettern, selbst wenn, wir wären schneller weg, als der Pfarrer Amen sagen kann.

Also stiegen wir, uns in Sicherheit wiegend, von den so oder so verbotenen Garagendächern herab. Plötzlich fanden wir uns zu zweit von starken Armen geschnappt und konnten uns nicht winden, nicht entkommen. Sein Sohn. Angst schoss uns in den Magen und die Übelkeit siedete in der Säure. Was würde er mit uns machen? Wir hielten ihn ja nicht für ganz dicht. Würde er uns prügeln? Vorerst hielt er uns nur fest; wie sich später herausstellte, war er sich der Wirkung seiner Kraft durchaus bewusst.

Er steckte seinen Kopf zwischen unsere beiden und sprach ruhig in jeweils eines unserer Ohren: „Lasst doch meinen Papa in Frieden. Er ist es nicht gewohnt mit Kindern umzugehen. Deswegen muss er dann immer so brüllen. Früher hat das Mama ja gemacht, sich um mich und meine Schwester gekümmert. Dann ist sie gestorben und er war alleine. Ganz plötzlich musste er sich um uns Kinder kümmern. Das war nicht leicht. Ich weiß nicht, ob ihr euch das schon vorstellen könnt, aber es ist nicht leicht für einen Mann, der sein Leben nur in der Arbeit war, plötzlich mit zwei Kindern alleine zu sein. Die Verantwortung, der Verlust der Arbeit. Ich bitte euch, lasst ihm seine Ruhe.“

Wie es meinem Freund dabei erging weiß ich nicht, aber ich sah mich selber, nach dem Umzug in diese Gegend, mit all den unbekannten Dingen, ohne Freunde, alleine zwischen den Häusern anfänglich und erinnerte mich, wie schwer es war hier klar zu kommen. Wie schwer es im Grunde immer noch war und wir deswegen einen alten Mann ärgern mussten, bis sein Sohn, der gar nicht blöde sondern extrem freundlich und gesittet war, uns ins Gewissen reden musste. Irgendwo in der Ferne machte es ein Geräusch, als wenn ein rostiges Zahnrad in ein anderes einrastet und unsere Charakterstufe wurde um eins erhöht. Von da an wurde der alte Mann unbeachtet gelassen und Mädchen rückten in den Fokus. Aber das ist eine andere Geschichte.

Abgehängt

Jetzt ist es geschafft, liebe Bundesregierung, liebe Landesminister:Innen, liebe Kultusminister:Innen. Ihr habt mich abgehängt. Ich kann eurer Irrfahrt nicht mehr folgen. Das Gefühl der Unsicherheit ist nun einem inneren Vakuum gewichen. Leere, wenn ich eure Gesichter in den Medien sehe, Taubheit, wenn sich eure Münder bewegen. Es geht nicht mehr. Ihr habt es auf ganzer Linie versaut.

Während wir als Eltern hier zu Hause versuchen uns, unsere Familie und Freunde, bestmöglich zu schützen, in dem wir uns ganz klar an die RKI-Verhaltenshinweise halten, stecht ihr uns ein Messer in den Rücken. Alle paar Wochen immer und immer wieder. Gestern habt ihr das Messer noch ein paar Mal in der Wunde gedreht.

Es ist nicht so, dass ich euch nicht mehr ernst nehme, aber ich sehe euch ab sofort als Gefahr für die Gesellschaft, zumindest für den Teil der Gesellschaft, der wie wir diese Pandemie als Bedrohung versteht. Wir sind euch weitestgehend wehrlos ausgeliefert. Was mich umtreibt ist unter anderem die Frage, wie ihr da sitzen könnt, euch nur mit euch selbst beschäftigt und von uns verlangt, unsere Kinder der Pandemie auszusetzen. Seit Monaten macht ihr für die Kinder: Nichts.

Die Lehrer:Innen in diesem Land zeigen die Probleme seit Jahren auf, die Pandemie legt ihre morbiden Finger in die Wunde. Und anstatt diese Wunde dem Zugriff der Pandemie zu entziehen und sie ordentlich zu säubern und zu verbinden, duckt ihr euch weg, macht die Augen zu und schickt die Kinder wie Kanonenfutter an die Front.

Ihr verlangt es einfach von uns. Ihr besteht darauf ein System aufrecht zu erhalten, das schon ohne Pandemie nicht richtig funktioniert hat. Wir sollen unsere Kinder in kalten Klassenräumen, im gemischten Unterricht, zu dem sie mit vollen Bussen und Bahnen fahren müssen, mit gutem Gewissen sitzen lassen.

Ich möchte meine aktuellen Gefühle dazu so ausdrücken: Fickt euch! Ich spucke auf euch. Ihr seelenlosen, selbstverliebten Kotzbrocken.

Ihr habt mich abgehängt. Restlos.

Vorgaben der Landesregierung NRW

Der Text hier bezieht sich auf die von der Landesregierung NRW herausgegebenen Vorgaben für den Infektionsschutz an den Schulen. Ich habe da ein wenig drin gelesen und aus einer Wut heraus in die Tasten gegriffen. Sicherlich habe ich nicht allzu gut argumentiert, das ginge bestimmt besser, aber ich muss meine Wut loswerden. Ich kann die verzerrte Wahrnehmung nicht verstehen. Zumal wir im direkten Bekanntenkreis all das nachvollziehen können, was in den sozialen Medien von LuL, SuS und Eltern berichtet wird.

Die Überschriften entsprechen den Punkten/Absätzen aus den Vorgaben der Seite der Landesregierung und den in dem Video von Alexander Brockmeier angesprochenen Maßnahmen. Es sind natürlich nicht alle Punkte angesprochen. Das Bild wird auch so klar.

INFEKTIONSSCHUTZ, HYGIENE UND TESTUNGEN

Die Kinder haben also den kompletten Schulalltag einen MNS/MNB im Gesicht. Es gibt keine vereinbarten Pausen. Kinder in Öffis tragen diese noch länger. Wo ist die Prävention, die das durch gezielte Maßnahmen entzerrt, erträglicher macht? Ah, die Schulen haben es in der Hand, oder? Freue mich schon auf die ersten abgemahnten LuL, die sich erdreistet haben eine maskenfreie Zeit auf dem Schulhof abzuhalten. Warum sind die Pausenzeiten nicht versetzt, sodass Kinder wenigstens in der Pause ohne MNS/MNB sein können? Ist das so unfassbar schwer?

Testungen von Schülern? Finden nur sporadisch statt und oftmals auf Druck der Eltern. Die GA sind am Limit. Das funktioniert also schon mal nicht.

Durchlüftung

Es ist Herbst, bald Winter, es stürmt und wird kalt. Was ist bei Minustemperaturen das Konzept? Kälte = Schnupfennase. Damit dann hinter MNS/MNB? Sie kennen doch sicher die laufende Nase beim Spielen draußen im Winter, oder? Ist in der Klasse dann nicht anders. Und die ständigen Temperaturwechsel sind auch nicht förderlich für das Wohlbefinden. Wo ist das Konzept, um auch diese Zeitintervalle zu minimieren und die Schule angenehmer zu gestalten?

Vorerkrankungen

Die Eltern sollen entscheiden, ob das Kind in die Schule kann. Verstehe, es wird dann für ein Kind Distanzunterricht gemacht. Der aber erst durch die Ministerin erlaubt werden muss. Chancengleichheit? Was ist mit Leistungskursen? Ja, die Klausuren müssen natürlich geschrieben werden.

Vorerkrankungen bei Angehörigen

Der Schutz kann nur eng begrenzt gewährt werden. Wie wäre es mit einem Konzept, das sich diese Frage erst gar nicht stellt? Dann sind auch nicht immer nur einzelne Schüler betroffen, sondern alle haben das selbe niedrige Risiko einer Infektion.

Schnupfen

Laut RKI ist kann das ein Symptom sein. Laut LR soll das Kind 24h zu Hause beobachtet werden. Um dann was zu entscheiden? Die Eltern bestimmen dann, dass es nur ein Schnupfen ist? Dass das Kind wieder in die Schule kann? Mit Schnupfennase unter der MNS/MNB?

Distanzunterricht

Über die Einrichtung von Distanzunterricht entscheidet die Schulleitung.

Fragen wir mal z.B. die Schulleitung aus Solingen?

Versetzter Schulanfang

Sie reden von 07:30 – 08:30. Seit Jahren wissen wird, dass die Schule besser später als früher anfangen soll. Außerdem ist mir aktuell keine einzige Stadt bekannt, wo das umgesetzt wurde. Wie denn auch, wenn das alles nur 1-2 Wochen gültig ist.

Handlung im Verdachtsfall / Infektionsfall

Schön beschrieben, aber die Realität ist eine andere. Das Vorgehen ist nicht an die kritische Masse der GA gekoppelt und läuft einfach ins Bodenlose. Kurz: Es funktioniert nicht. Die Empfehlungen des RKI werden vollumfänglich NICHT umgesetzt. Dabei sind die einleuchtend und minimieren das Risiko einer Infektion für alle Beteiligten. Sie verfolgen schon was LuL gerade so äußern? Nein? Schade. Dann könnten Sie den Irrsinn erkennen, der da gerade passiert.

Anstelle von 1000 Bussen mehr und die Kinder noch früher in die Schule zu zwingen, sollten die Gruppen verkleinert und auf eine Art Schichtbetrieb umgestellt werden. Wenn es keine Infektionen in den Schulen gibt, muss auch erst gar nicht über Distanzunterricht geredet werden. Weiterhin muss man endlich einsehen, dass die Schule keine Verwahranstalt für Kinder ist, sondern ein Ort wo Wissen und Bildung fließen sollen. Keine durchgelüfteten kalten Nasen im Winter.
Das neu entdeckte Recht auf Bildung wird ohne einheitliches Konzept, welches entkoppelt vom Infektionsgeschehen bis zum Ende der Pandemie allgemein gültig ist, direkt nach dem Aussprechen mit Füßen getreten.

Alles in allem sind Vorgaben ein Flickenteppich, der den Schulen keinen geordneten Handlungsrahmen zur Prävention an die Hand gibt. Alles sind nur Abstellmaßnahmen, keine Präventionsmaßnahmen. Im Rahmen einer Risikobetrachtung würde das alles in sich zusammenfallen. Zumal es niemanden gibt, der das umsetzen kann. Die Maßnahmen, oder auch Vorgaben, werden auf einzelne Betroffene heruntergebrochen. Teilweise werden nicht einmal direkte Sitznachbarn informiert, getestet, in Quarantäne geschickt. Die Maßnahme funktionieren einfach nicht, weil die Schulen etwas vor die Füße geworfen bekommen haben, das sie nicht umsetzen können. Sie wurden schlicht alleine gelassen.

Da kann die Landesregierung noch so schöne Erklärbärvideos auf Instagram posten, noch so toll auf die Vorgaben verweisen. Das ist nur Makulatur. In meinem Berufsumfeld nennt man so etwas „Luftschlösser bauen“. Mehr ist es nicht. Nichts wirkt, alles soll nur glänzen. Und das ist, was mich so unfassbar wütend macht. Es geht um die Sicherheit unserer Kinder, die der Lehrer, in dessen Obhut wir sie geben.

Für uns ganz persönlich hat sich seit März folgendes geändert: Wir haben viele selbstgenähte MNS für die Tochter, sie war bereits mehrfach wegen Schnupfen zu Hause. Aus unserem Verantwortungsgefühl heraus haben wir sie immer mindestens 1 Woche, nicht 24h, zu Hause gelassen. Sie hat in dieser Zeit keine Unterlagen der Schule erhalten. Lehrer reagieren nicht auf E-Mails.

PS: Das tolle Bild von Frau Gebauer in der Schule wurde in einer Aula oder einem Musikraum aufgenommen. Und ist eine Beleidigung für uns Eltern, die wir genau wissen in welche Klassenräume unsere Kinder tatsächlich gehen. Das Bild ist eine bodenlose Frechheit und an Ignoranz nicht zu überbieten.

Bildung, aber sicher. Oder?

Liebe Leute, wir schreiben diesen Text an die Landesregierung. Ihr dürft ihn gerne kopieren, ergänzen oder verändern und auch an die Landesregierung schicken. Wir kennen aus dem Internet folgende E-Mailadressen, die sich als Empfänger eignen:

franziska.mueller-rech@landtag.nrw.de
kirstin.korte@landtag.nrw.de
jochen.ott@landtag.nrw.de
sigrid.beer@landtag.nrw.de

Sehr geehrte Damen und Herren,

unter dem Hashtag #BildungAberSicher äußern sich zahllose Eltern, Schüler und Lehrer im Internet zu den Umständen und Missständen, die aktuell aufgrund der Pandemie an den Schulen herrschen. Wir, hier als Eltern auftretend, fühlen uns von der Landesregierung NRW im Allgemeinen, von der Kultusministerin Gebauer im Speziellen, nicht wahrgenommen.

Seit spätestens März wissen wir um die Gefährlichkeit von Covid-19, wir hatten eine kurze Zeit der Schulschließung, um die Zahlen zu senken. Zwischenzeitlich konnten wir alle in anderen Ländern beobachten, was passiert, wenn die Schulen zu früh wieder in den Regelbetrieb gehen. Siehe Israel als stärkstes Beispiel. Nach den Pfingstferien begann man vorsichtig in kleinen Gruppen zu unterrichten, hatte versetzte Anfangszeiten. Die Zahlen sanken weiter.

Nach den Sommerferien ab in den Regelbetrieb. Wir Eltern und sicherlich auch Lehrer, standen recht fassungslos da. Fragen nach einem Plan B wurden abgewiegelt, einfach nicht beantwortet. Forderungen nach kleinen Gruppen, versetzten Anfangszeiten, wie sie schon einmal hilfreich waren, blieben ungehört, wurden brüsk abgewiesen, oder sogar verboten.

Die Zahlen steigen. Frau Gebauer steht beharrlich zu ihrer immer noch bereits nachweislich falschen Strategie. Das RKI, die Bundesregierung und sämtliche ernstzunehmenden Fachleute, raten etwas anderes, als die Landespolitik umsetzt.

Wie kann das sein? Was ist das Ziel?
Derweil schicken wir Kinder in Quarantäne, mal Klassen, mal einzelne, mal mit unmittelbaren Sitznachbarn. Die Kurse in der Oberstufen z.B. laufen weiter, die Kinder in Quarantäne dürfen daran nicht teilnehmen, sollen ab er die Klausuren wie gewohnt mitschreiben. Sie propagieren Chancengleichheit. Wo ist die denn bei einem solchen Vorgehen?

Wir Eltern fordern im Namen unserer Kinder:
Setzen Sie endlich die Hinweise des RKI für einen gesicherten Schulunterricht für alle um. Niemand redet von ausschließlich Distanzunterricht, aber: kleine Gruppen mit versetzten Anfangszeiten, ohne vermischten Unterricht, das muss doch drin sein! Nehmen Sie den Stress von den Kindern. Nehmen Sie endlich das Kindeswohl ernst. Die Kinder sind keine Maschinen, die einfach so funktionieren. Machen Sie die Hinweise des RKI zu einem neuen Normal, weil die Pandemie und das Virus uns noch lange Zeit in Atem halten werden.

Mit noch freundlichen Grüßen
Die entsetzen Eltern

Lebendig begraben

Die Welle rollt. Wir werden irgendwohin gespült, ohne dass wir großen Einfluss nehmen könnten. Vielleicht wachen wir an einem Strand auf, vielleicht auch nicht.

Gestern erst sagte man mir, man könne ja nicht mit dem Leben aufhören. Nein, natürlich nicht, aber ich fange auch nicht aus Eigensinn mit dem Sterben an. Ja, es ist schwer, ja es ist belastend, ja. Immer alles ja (außer Verschwörungstheorien).

Ich betrachte recht nüchtern meine Verantwortung und die ist, meine Familie gesund durch diese Zeit zu bringen. Dazu gehört sicherlich ein gewisser Verzicht.

Auf was verzichten wir aktuell? Wir hier lediglich auf die Treffen mit einem Teil der Familie und ggf. auf den Besuch eines Restaurants.

Freunde kommen, oder wir gehen hin. Aber immer in Abstimmung mit den Umständen der Familien. Wir sagen uns Gegenseitig was wo wie der Status ist. Wenn wir ein mulmiges Gefühl haben, verschieben wir einvernehmlich auf ein anderes Datum. Wir nehmen an den Leben unsere Freunde teil, sodass jeder Bescheid weiß und die Situation einschätzen kann.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf. Ich weigere mich aber Menschen zu treffen, die ich sonst auch nur einmal im Jahr sehe. Dieses Risiko kann ich guten Gewissens ausschließen. Zumal ich doch nicht weiß, wen und was und wo die sich sonst aufhalten. Eventuell sind am Ende noch Aluhüte dabei. Kandidaten hätte ich da welche.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf, wir treffen Vorkehrungen und schützen uns und andere bestmöglich. Ich verstehe nicht, was daran nicht zu begreifen ist.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf, weil wir nicht mehr regelmäßig zum Einkaufen gehen. Unsere Geschäftsbesuche seit Februar können wir vermutlich an zehn Fingern abzählen. Wir haben bisher recht gut aus dem Garten, mit Picnic und Flaschenpost überlebt.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf, weil wir versuchen an der Schule Einfluss zu nehmen und die Hygienekonzepte hinterfragen. Man hätte insgesamt schon vorher viel mehr hinterfragen müssen, dann wäre ggf. die Problematik der Schule, sich auf aktuelle Ereignisse einzustellen, schon viel früher aufgefallen. Jetzt stehen wir da und fragen uns ernsthaft, wie wir das Kind gesund über den Winter kriegen.

Nein, wir hören nicht mit dem Leben auf. Zu keiner Zeit. Wir passen uns nur an und machen, was nötig ist. Wir hören was die Virologen sagen, was die Politiker sagen, was das RKI meldet und maßen uns an, dazu eine Meinung bilden zu können und abzuleiten, was wir selber uns und anderen zutrauen können. Grundgedanke ist immer der Schutz aller Beteiligten. Wenn es nur um uns ginge, würden wir uns ja so verhalten wie der unbelehrbare Teil der Bevölkerung.

Lebendig begraben sind die, die sich nicht anpassen können, die nur sich sehen, nur sich am wichtigsten halten, weil ihre Welt sich nur um sie dreht. Ihr seid die Toten, die zu Lebzeiten schon im eigenen Grab hin und her eilen, zu den Takten des Programms*. Graue Leute, die dafür protestieren, niemals etwas zu ändern, unfähig zu abstrahieren. Ihr trefft euch mit weiteren grauen Leuten, um die Wahrheit, die es nicht gibt, in eurer Echokammer immer und immer wieder zu wiederholen. Eure Echokammer ist das Grab, in dem ihr lebendig hin und her eilt und der Rest der Welt euch schon längst überholt hat.

Am Ende sind wir es, die auf der Welle geritten sind, die Verluste erleiden mussten und konnten. Wir warten nicht auf euch, wir gehen weiter mit dem Leben in Liebe.

*Danke an die Band Dackelblut für dieses Album mit diesem Titel 🙂