Ein privilegierter Rückblick

Wenn mich jemand fragt woher ich komme, sage ich, dass ich im Ruhrpott geboren wurde und auch dort aufgewachsen bin. Rein geografisch ist das absolut richtig, aber der Definition „Ruhrpott“ nach, nur die halbe Wahrheit. Das sehe ich so, weil ich auch im Ruhrpott nie in einer großen Stadt wohnte. Unsere Familie lebte immer in Vororten, die zumeist recht grün waren. Heute lebe ich am Niederrhein im noch grüneren Umfeld.

Ich hatte Zeit meines Lebens Menschen aus anderen Ländern in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Viele meiner Freunde sind nicht hier geboren, oder ihr familiärer Hintergrund ist aus einem anderen Kulturkreis. Es ist fast egal wo du im Ruhrpott wohnst, er ist an vielen Stellen einfach ein farbenfroher Schmelztiegel.

Anders als meine Großeltern habe ich keine Berührungsängste. Nicht früher, nicht heute. In meinem kindlichen Gemüt habe ich die Warnungen vor diesen und jenen Leuten einfach nicht wahrgenommen. Dachte ich viele Jahre. Ich hielt mich immer für offen und als jemand, der keinen Anstoß an der Andersartigkeit unterschiedlichen Kulturen nahm. Irgendwann stellte ich aber fest, dass mein Verhalten in bestimmten Situationen nicht zu meiner (gedachten) Überzeugung passte.

Als Beispiel will ich nur einen Sachverhalt anführen, der exemplarisch für viele andere Situationen stehen soll, in denen ich mich plötzlich voller Scham betrachten musste. Ich parkte mit meinem Auto im Sommer in einer Stadt und wartete auf jemanden. Es war warm und die Fenster am Auto waren geöffnet. Eine Klimaanlage hatten meine Autos zu der Zeit noch nicht. Ich konnte den Bürgersteig gut überblicken und sah am Ende der Häuserfront eine Gruppe junger Leute um die Ecke kommen. Sie alle hatten dieses südländische Aussehen, von dem wir viel zu oft in den Nachrichten lesen und hören konnten. Automatisch schloss ich die Fenster und kontrollierte, ob die Türen abgeschlossen waren.

Anfänglich habe ich mir eingeredet, dass ich das auch bei einer anderen Gruppe gemacht hätte. Das ist aber falsch. Ich hätte es nicht getan. Diese Erkenntnis war ein Schlag ins Gesicht. Es gibt viele solcher Situationen, in denen ich mich so verhalten habe. Danach fing ich an zu überlegen, warum das so ist. Es ist im Grunde so einfach wie schauderhaft. In meiner Erinnerung sind viele Situationen, in denen meine Großeltern stur ihre im Nationalsozialismus gelernte Sicht auf „fremde Menschen“ wiedergaben.

Als Kind war ich einfach zu abgelenkt mit Abenteuern und Spielen, um das wirklich wahrzunehmen. Man kann sagen, ich habe diese schlimmen Aussagen und Wörter weg-gelacht. Doch sie machen etwas mit dir. Schleichend setzen sich diese Dinge fest und steuern irgendwann dein Verhalten. Erst bist du Kind, wächst in Mitten von anderen Kulturen auf, aber du benutzt auf der anderen Seite auch bestimmte Wörter, mit denen diese Kulturen, diese Menschen, abgewertet, diskriminiert, beleidigt werden. Ganz unbedarft, weil das alle machen. Es setzt sich fest in dir.

Als Erwachsener sagst du dann die Wörter nicht mehr, weil es sich nicht gehört. Du denkst sie aber noch, weil sie im Kopf sind. Fest verankert von Kindesbeinen an. Das ist das Erbe (nicht nur) meiner Generation. Die Großeltern geprägt vom Nazideutschland, oftmals selber nicht mehr fähig zu reflektieren. Ich kann das ein wenig verstehen, nach all dem Leid, Kummer und den Entbehrungen, dass einfach die Kraft gefehlt hat, das innerlich aufzuarbeiten. Scheiße ist es trotzdem.

Mir wird es flau ums Herz, wenn ich an die Zeit zurückdenke, wo wir ohne nachzudenken Menschen so schrecklich abwertend genannt haben, obwohl sie unsere Freunde waren. Und das schlimmste, was sie damals erwidern konnten, war Arschloch, oder andere ähnliche Schimpfwörter. Es sind Schimpfwörter. Was wir benutzten war rassistisch und diskriminierend. Es war beleidigend und abgrundtief schlecht. Ich frage mich, was diese Leute damals dabei gefühlt haben müssen. Nicht nur die Kinder, die mit uns zusammen waren, sondern ja gerade die Erwachsenen.

Ich kann gar nicht sagen, ob es bei mir dieses eine Erlebnis gab, welches mich zum Nachdenken brachte. Meine Vermutung ist, dass es die mediale Berichterstattung war, z.B. über die Angriffe auf die Flüchtlingsunterkünfte schon in den 90ern. Das hat sich immer weiter fortgesetzt. In der Schule behandelten wir sehr ausführlich Nazideutschland. Auch so ein Punkt in meinem Leben, der mir klar vor Augen geführt hat, was auf gar keinen Fall jemals wieder passieren darf. Ich habe mich schuldig gefühlt und mich geschämt.

Es hat trotzdem viele Jahre gedauert, bis in meinem Kopf ein klares Verständnis darüber herrschte, was ich früher für Begriffe benutzt habe. Auf der einen Seite ein klarer Gegner jedweder Unterdrückung, Diskriminierung und rassistischer Ausdrücke, aber auf der anderen Seite benutzte ich Wörter, die ganz klar diesen Gebieten zuzuordnen waren. Das, und das Verhalten welches ich weiter oben beschrieb, brachten mich dazu, sehr genau hinzuschauen und hin zuhören.

Anfänglich habe ich Begriffe nachgeschlagen, später im Internet nach Erklärungen und Herkunft gesucht. Es ist ein recht langer Weg aus den leicht verklärten Vororten mit dem gebräuchlichen Sprachgebrauch, hin zu einem Kopf, der nicht mehr in diesen Mustern denkt und arbeitet. Ein großer Fehler ist es in meinen Augen, hier z.B. von Akzeptanz zu reden. Wir brauchen nicht mehr Akzeptanz, sondern müssen mit der Ausgrenzung aufhören. Wir brauchen nicht mehr freundliche Wörter, wir müssen mit der Diskriminierung aufhören. Wir müssen nicht von fremden Kulturen sprechen, wir müssen mit dem Rassismus aufhören.

Mein Weg war, mir einzugestehen, dass das in mir drin ist und ich niemals ohne Fehler sein werde. Aber ich habe angefangen andere Menschen auf ihr Verhalten und ihren Sprachgebrauch hinzuweisen. Wir haben in unserer Familie offen darüber gesprochen und unserer Tochter diese Wörter direkt erspart. Wir haben ihr erklärt, so gut wir es konnten, was Rassismus, Diskriminierung und Sexismus sind und was das mit den Menschen macht. Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem sie mich hin und wieder so lapidar hinweist: „Das war jetzt aber sexistisch, Papa!“ und ich bin stolz darauf.

Für mich hat es funktioniert. Dieses Kind weiß sich auszudrücken, sie steht ein für andere und kennt es nicht anders, als sich gegen diese Formen der Unterdrückung zu wehren. Das war wichtig, denn für mich ist damit der erste Kreis der Hölle durchbrochen und zumindest das lässt mich das ein wenig hoffnungsfroher in die Zukunft schauen. Es ist an uns, dieses Kapitel hinter uns zu lassen.

Dieser Text ist entstanden, weil mich die Sendung Beste Instanz von Enissa Amani an meine eigenen Gedanken dazu erinnert hat. Ich kann die Sendung nur empfehlen, weil sie mir auch wieder gezeigt hat, dass wir das hier für uns in der Familie vielleicht gelöst haben, aber in der Gesellschaft ist noch sehr viel zu tun.

Na du

Tatsächlich ist es so, dass ich vor der Pandemie Xavier Naidoo überhaupt nicht wahrgenommen habe. Ich mochte seine Musik noch nie, fand ihn unsympathisch und deswegen fand er für mich gar nicht statt. Aus diesem Grund wusste ich auch nicht, dass er sich schon vor seinem Abstieg in die Verschwörungshölle antisemitisch geäußert hat.

Unabhängig davon, was ich von ihm halte, muss sich die Gesellschaft fragen, wie sie mit solchen Rückkehrern umgehen will. Im Netzt toben sich die Meinungen aus, er wird verteufelt, andere möchten ihm eine Chance geben. Ich kann nicht abschätzen wie tief sein Fall wirklich war, da ich nicht weiß, auf welcher Ebene der Verschwörungen er vorher stand. Für mich zählt, dass er, mit seiner Hetze und seinen Verschwörungstheorien, Menschen nachhaltig manipuliert und zu demokratiefeindlichem Verhalten ermuntert hat.

Von dort aus betrachtet ist ein drei Minuten Video mit einer Entschuldigen natürlich nicht genug. Wenn er es ernst meint, weiß er das auch. Da muss jetzt mehr kommen. Wenn sich Menschen voreilig auf den geläuterten Naidoo verlassen, könnten sie eine böse Überraschung erleben. Ich persönlich hege da so meine Zweifel. Meine Vermutung ist, wenn die Gesellschaft jetzt nicht umgehend mit offenen Armen reagiert, dreht sich das Karussell weiter und er wird ungehalten reagieren. Alles kann anders sein, aber ich wäre das sehr, sehr vorsichtig.

Er hat eine Chance verdient. Doch die Veränderung kann nicht von uns, der Gesellschaft, kommen, sie muss von ihm kommen. Er muss es wollen und das auch zeigen. Jeden Tag, offen und transparent. Es gibt viele Möglichkeiten sein Fehlverhalten glaubhaft hinter sich zu lassen. Das kleine Video ist ein Anfang. Mehr nicht.

Prima Klima

Ich gehöre zu den Menschen, die sich in ihrem Leben bisher wenig bis gar nicht mit Naturwissenschaften beschäftigt haben und auch nicht mussten. Das ist vorbei. Na ja, es hätte eigentlich nie so sein dürfen, denn die Klimakatastrophe ist da und es passiert zu wenig.

Zugegeben, die Thematik „Klima“ ist nicht ganz so einfach, wenn man sich durch wissenschaftliche Texte und Studien arbeiten muss. Aber um grundsätzlich zu verstehen, wie die Zusammenhänge sind und wie sich bestimmte Stoffe verhalten und was sie tun, gibt es ein tolles Buch.

„Den Klimawandel verstehen“ von Harald Lesch, Cecilia Scorza und Katharina Theis-Bröhl ist dieses tolle Buch. Auf 159 Seiten gibt es alles, um die grundlegenden Dinge zu verstehen. Vollkommen erstaunlich dabei ist, dass diese Seiten keinesfalls dicht beschrieben sind. Das wäre ja zu vermuten, aber die Autor:Innen sind einen anderen Weg gegangen.

Jede Seite ist eigentlich zwei Seiten. Die linke Seite mit Sketchnotes, in denen die wesentlichen Punkte grafisch leicht verständlich dargestellt sind, die rechte Seite mit weiteren Informationen oder Erläuterungen. Das ist super gemacht und fördert das Verständnis.

Der thematische Aufbau ist derart, dass die Leser:Innen zuerst über die Funktionen und Zusammenhänge der Atmosphäre unserer Erde aufgeklärt werden. Es geht dann weiter in das Klimasystem, den Klimawandel, die Auswirkungen unseres Handelns und was wir (Einzelnen) tun können, sowie einen Ausblick in die Zukunft mit kommenden Technologien und notwendigen Maßnahmen.

Das Buch versucht die Leser:Innen nicht verzweifelt zurück zu lassen. Angesichts der politischen Entscheidungen dieser Tage fällt es zugegebener Maßen leider schwer. Und doch hat das Buch Hinweise und Vorgehensweisen parat, für die es sich weiter einzusetzen gilt. Ich ganz persönlich sehe dieses Buch im Zusammenhang mit dem Buch „Autokorrektur“ von Katja Diehl. Beide bieten substantiell Wege und Mittel, die Katastrophe doch noch abzuwenden / abzumildern.

Lest das Buch!

Die Tote in der Sommerfrische

Norderney ist unsere Insel. Wir sind oft im Sommer dort gewesen und haben tolle Urlaube verbracht. Ich kann gar nicht genau sagen, was mir persönlich so sehr gefallen hat. Vielleicht sind es die alten Villen, vielleicht die Promenade oder auch einfach der Umstand, dass im Grunde für jeden etwas dabei ist. Vor zwei Jahren kauften wir zwei Bücher für den Urlaub auf der Insel. Nachdem nun klar ist, dass wir auch in diesem Jahr nicht den Sommer auf Norderney verbringen, fing ich an die Bücher von Elsa Dix zu lesen.

Das erste Buch mit dem Titel „Die Tote in der Sommerfrische“ überraschte mich direkt auf der ersten Seite. Ich hatte gar nicht so genau hingeschaut. Weder das Cover noch die doppelte Bildseite innen brachten mich auf den Gedanken, was für ein Buch ich in den Händen hielt. Der geschriebene Kriminalfall spielt gar nicht in der Jetztzeit. Es ist 1912 und der Adel (auch Landadel) verliert gerade seine Vormachtstellung an die Industrieellen. Das ist auch der rote Faden, an dem sich der Fall entlang hangelt. Versteckt wird dies hinter einer Liebesgeschichte, die sich zwischen dem Ermittlerpärchen anbahnt.

Ich will gar nicht zu viel verraten. Inselfreunde sollten das Buch in jedem Fall ausprobieren, Leser und Fans historischer Kriminalfälle kommen auch auf ihre Kosten. Mir hat der andere Blick auf die mir so lieb gewonnene Insel gefallen. Elsa Dix hat einen feinen Kriminalfall gewoben, in dem die Menschen und die Anforderungen an sie aus der Zeit, bestens eingearbeitet sind.

Noch ein Buch für euch:

Cover des Buches von Elsa Dix: Die Tote in der Sommerfrische.
Elsa Dix – Die Tote in der Sommerfrische

Das Auto und ich

Viele Menschen haben meine Beziehung zum Auto nie verstanden oder verstehen wollen. Autos waren und sind für mich immer Gebrauchsgegenstände gewesen. Na gut, außer in diesen 4 Jahren, als ich mal ein Auto fuhr, weil ich es geil fand. Hatte sich dann aber mit der ersten Reparaturzahlung erledigt.

Als ich den Führerschein machte, das war 1988, gab es die Option gar nicht, keinen zu machen. Außer, man wollte sich gesellschaftlich ächten. Wer keinen machen konnte galt umgehend als armer Schlucker. Wenn du einen hattest, aber kein Auto, wurdest du noch so gerade akzeptiert. Immerhin konnten sie dich dann als Chauffeur für die Disco gebrauchen.

Trotz Führerschein und Auto fuhr ich eine zeitlang mit dem Rad zur Arbeit. Das waren 12 Kilometer und auf dem Rückweg, also nach der Schicht, ging es nur bergauf. Das habe ich dann auch nicht allzu lange gemacht. Und der Weg mit den Öffis zur Arbeit war, nun, sagen wir es diplomatisch, eine Frechheit. Ich wohnte nicht in der Innenstadt, sondern musste aus einem Vorort in die Stadt fahren.

Aber um es mal auf den Punkt zu bringen, ein Auto wirklich gebraucht habe ich erst ab 2004. Durch einen Umzug wurde der Weg zur Arbeit auf 80 Kilometer für eine Fahrt gestreckt. Öffis und Fahrrad waren damit nicht mehr möglich. Also pendelte ich ab 2004 täglich 160 Kilometer jeden Werktag. Um den Wahnsinn zu verdeutlichen: Je nach Staulage waren das die A42 oder die A40 vom Niederrhein in den Ruhrpott und wieder zurück. Oben drauf kamen dann irgendwann noch die Dienstreisen.

Anfänglich nahm ich dazu noch ein sehr, sehr großes Auto. Aber ich kam dann recht schnell zu der Einsicht, dass ich den Tankwagen nicht ständig hinter mir herfahren lassen konnte. Also leaste ich kurzerhand einen Kleinstwagen. Das war zwar wenig komfortabel auf deutschen Straßen, aber mein Gewissen und mein Geldbeutel waren etwas beruhigt. Die Kleinstwagen leaste ich dann alle 4 Jahre neu. Das ging bis 2017, aber dann gab es einen Eklat mit dem Kleinstwagenhersteller und ich beschloss, diesem keinen einzigen Cent mehr zu überlassen.

Dummerweise war ich aber auf das Auto angewiesen. Leasen wollte ich auch nicht mehr. Also, Kauf eines Neuwagens. Der Händler war nicht sonderlich angetan von meiner Wahl. Alles Standardausführung, keine Extras. Nicht mal eine Farbe mit Zusatzkosten konnte er mir andrehen. Immerhin war es ein etwas größeres Auto, weil wir auch planten mit den Snowboards in die Berge zu fahren.

Dann kam Corona und alles änderte sich. Seit Februar 2020 arbeite ich ausschließlich im Home Office. Meine Arbeit kann grundsätzlich so gestaltet werden. Dass ich all die Jahre pendeln musste, war nur dem Kontrollzwang meines Arbeitgebers und, man höre und staune, dem Betriebsrat geschuldet. Der Betriebsrat wollte Home Office nicht als Betriebsvereinbarung abschließen, weil ja die Arbeiter in der Fabrik daran nicht teilhaben können. Aber darüber möchte ich mich hier nicht auslassen. Mein direkter Vorgesetzter erlaubte mir seit 2010 nach Dienstreisen und je nach Arbeitsaufkommen, hin und wieder im Home Office zu arbeiten.

Jetzt sitze ich im dritten Jahr zu Hause und alle, die zuvor kein Home Office gemacht hatten, oder aber sogar der Meinung waren, dass das Arbeiten so nicht funktionieren würde, mussten sich nun eingestehen, dass es geht. Es geht sogar wunderbar, wenn man ein paar Dinge berücksichtigt. Das Auto habe ich seit 2020 ca. 2x vollgetankt. So wenig bin ich gefahren. Wir haben hier alles leicht zu Fuß oder per Rad in erreichbarer Nähe.

Zwischendurch bin ich auf Twitter über Katja Diehl und ihr Thema gestolpert. Und tatsächlich behandelt sie in ihrem gleichnamigen Buch viele der Dinge, die mir seit dem Stillstand des Autos auf dem Hof, auch durch den Kopf gingen. Katja hat es allerdings geschafft, all das in vernünftige Wörter und Visionen mit einem ganzheitlichen Ansatz zu packen. Zu allem Überfluss ist mir vor ein paar Tagen aufgefallen, dass das Auto keinen TÜV mehr hat. Im Januar abgelaufen. Und nun rattert es in meinem Kopf, was für uns als Familie möglich ist. Ganz ohne Auto ist für mich persönlich aus gesundheitlichen Gründen schwierig. Nicht unmöglich, aber schwierig.

Vermutlich würde ich an die Schwierigkeiten nicht denken müssen, wären viele der Ansätze von umgesetzt. Ich sehe in den Überlegungen von Katja Diehl mittlerweile die einzige Möglichkeit, die Mobilität und die Umwelt gleichermaßen zu verbessern und zu schützen. Für mich wird es vermutlich zeitlich nicht mehr reichen, aber ich hoffe für meine Kinder und Enkel, dass der Standard wird, wenn wir über Mobilität denken, sprechen, diskutieren und vor allem umsetzen.

Noch ein Buch, das ihr lesen solltet.

Schwarzes Herz

Ab einem Punkt legst du das Buch nicht mehr weg, du musst es durchlesen, weil du hoffst, dass am Ende alles gut wird.

So habe ich das Buch von Jasmina Kuhnke erfahren. Ich fing an zu lesen und durfte nicht mehr stoppen. Normalerweise würde ich über ein Buch, das mich derartig in den Bann zieht, schreiben, dass es ein gutes Buch ist. Hier widerstrebt es mir in solchen Kategorien zu denken.

Jasmina erzählt, wie sie aufgewachsen ist. Der Inhalt ist so persönlich wie grausam. Selbstverständlich gibt es Menschen, die das Geschehene als emotionale Übertreibung abtun. Genau diese Menschen stehen auf der anderen Seite, sind nicht betroffen vom Rassismus, der in so unfassbar vielen Facetten mal offen, mal verdeckt auf die Betroffenen einschlägt.

Ich bin 12 Jahre älter als die Autorin, weiß und grundsätzlich privilegiert aufgewachsen. Armut kenne ich nicht. Als Jasmina geboren wurde, habe ich mir mein erstes Iron Maiden Album gekauft. Ich bin ein Jugendlicher aus den 80ern und pubertierte als Pommesbudengeneration so vor mich hin. Wenn Jasmina in ihrem Buch vom Umgang mit Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe schreibt, nicke ich zustimmend.

Ich war mit einem etwas älteren Jungen aus dem Senegal befreundet. Er bot sich an, mir Englisch beizubringen, meine Eltern wollten „so einen“ aber lieber nicht in der Wohnung haben. Am Ende saßen wir in der Kneipe und tranken Bier, während wir uns auf Englisch unterhielten. Ich war oft bei unseren türkischen Nachbarn zum Essen eingeladen, weil ich mit den Kindern der Familie spielte. Meine Oma schüttelte sich und bemerkte bissig, dass ich aufpassen soll was ich da esse.

Ich habe Menschen nie so gesehen. Ich weiß nicht warum, denn das Umfeld war komplett anders. Und genau das ist, was Jasmina Kuhnke erlebt hat. In allen perversen Ausprägungen. Sie beschreibt eindrücklich, was Rassismus mit ihr und ihrem Leben gemacht hat. Ich habe oben geschrieben, dass ich genickt habe zu ihren Ausführungen, weil ich das kenne. Das bedeutet nicht, dass ich auch nur ansatzweise wüsste, wie dem Rassismus ausgesetzte Menschen sich fühlen. Ich habe nur gesehen und gehört, wie grausam Menschen mit anderen Menschen umgehen. Fühlen oder erfahren musste ich das nie.

Deswegen ist das Buch „Schwarzes Herz“ so wichtig. Es ist von der Autorin ein Statement, eine Anklage und eine Befreiung gleichermaßen. Für uns ist es ein Spiegel, ein Schlag ins Gesicht und ein Ansporn. Wir müssen unseren Blick auf die Menschen fokussieren, nicht auf unsere eigenen, irrationalen Ängste vor, ja, vor was denn eigentlich?

Wenn wir es schaffen den Menschen zu sehen, dann wird vielleicht irgendwann alles gut. Jasmina und allen anderen Menschen mit diesen Horrorerfahrungen wünsche ich das aus tiefstem Herzen.

Lest das Buch!

Cover "Schwarzes Herz" von Jasmina Kuhnke
Cover „Schwarzes Herz“ von Jasmina Kuhnke

Eltern und Kinder

Eltern und Kinder

Seit dem ich im Home Office viel auf der Terrasse arbeiten kann kriege ich auch viel von dem mit, was so in der Nachbarschaft abläuft. Es gibt da lustige Dinge, es gibt anstrengende Dinge und es gibt diese Dinge, die mich unendlich wütend machen.

Um uns herum wohnen viele Familien mit Kindern. Einige Schulkinder, andere sind Kleinkinder, wieder andere im Kindergartenalter. Selbstverständlich ist es da laut, wenn die Nachmittags, bzw. morgens in den Ferien, in den Höfen und Einfahrten spielen. Spielende Kinder sind etwas schönes und sollten dazu auch die Möglichkeiten haben. In unserer Straße, einer Spielstraße, ist es zum Glück so. Das sind die schönen Dinge. Die weniger schönen haben grundsätzlich mit den Eltern der Kinder zu tun.

So zum Beispiel der Nachbar auf der rechten Seite, der seine Tochter grundsätzlich mit „Eyh!“ anschreit, so wie seine Hunde und seine Frau. Dann wundern sie beide sich, dass die Tochter in einer Tour laut brüllend ihre Meinung kund tut. Die Tochter ist auch die, die seit diesem Jahr in den Kindergarten geht. Der ist 150 Meter von hier entfernt und die Mutter fährt sie mit dem Auto dahin. Ich frage mich, was für eine Art Mensch das später sein soll, der da aufwächst.

Gegenüber sind neue Leute eingezogen. Anfänglich war alles super, sie haben das Haus renoviert und viel daran gemacht. Der Mann hatte wohl Pandemie bedingt auch Home Office. Jetzt ist er wieder arbeiten und die Frau brüllt jeden Morgen ihr Kindergartenkind zusammen. Das Kind schreit, sie brüllt zurück, brüllt ihr die Schuld für das angebliche Zuspätkommen ins Gesicht, das Kind weint, sie schreit es bis ins Auto. Heute früh hat sie sich komplett demaskiert in dem sie in ein hysterisches Geschreie verfallen ist. Was soll das werden?

Ich habe heute gezwungenermaßen zugehört (wie der Rest der Straße sicherlich auch) und tief in mich hineingeschaut. Nein, ich habe meine Kinder nie angeschrien. Schon gar nicht so. Die älteste Tochter ist mittlerweile 30 Jahre, die Jüngste wird bald 13. Denn Sinn eines Wutausbruches als Erwachsener bei einem Kind habe ich nie verstanden. Wenn ich jemanden anschreie oder in Grund und Boden brülle, macht das nichts besser und das Signal ist so falsch wie nur etwas falsch sein kann.

Vielleicht sind wir hier mit unserer Art und Weise nah an dem was Antiautoritär genannt wird. Ich bin aber der Meinung, dass das Heranwachsen eines Kindes viel komplexer ist, als dass wir dafür einfache Begriffe hernehmen könnten. Auch Erziehung ist so ein Wort, bei dem ich nicht weiß, ob es richtig ist. Für mich steckt da das Wort „ziehen“ drin. Ich möchte nicht einen Menschen in eine Richtung ziehen, von der ich denke sie ist richtig. Ich möchte, dass sich der Mensch in eine Richtung entwickelt, die für ihn die richtige ist. Dabei kann ich unterstützen, vertrauen und respektieren. Aber ziehen? Nein, das erscheint mir falsch. Brüllen und klein machen am allerfalschesten.

Ruhe

Innere Ruhe. Verinnerlichte Ruhe. Gelebte Ruhe. Einfach nur Ruhe. Ohne Stress. Ruhig auf das Leben blicken können ist ein Privileg. Ich kann das erst jetzt genießen. In den letzten Jahren war mir das wohl nicht möglich, sonst würde mir jetzt nicht so auffallen, wie ruhig ich tief in mir bin. Seit Monaten habe ich nicht mit dem Auto fahren müssen. Gut, einmal zur großen Tochter über die Autobahn für 80 Kilometer. Ansonsten keinen Meter. Es ist mir geradeso, als wenn all das einfach abgefallen wäre, seit dem ich nicht mehr regelmäßig über die Straßen und Autobahnen fahren muss.

Bisher hielt ich mich auch für einen Fahrer, den weder Stau noch andere Störungen auf der Straße groß etwas anhaben könnten. Schon aus dem Grund, dass ich seit knapp 20 Jahren viel fahren muss und mir einige Erfahrung zur Verfügung steht. Aber jetzt merke ich, was das bisher mit mir gemacht hat. Ständige Anspannung, immer konzentriert auf die Straße achten, hohe Geschwindigkeiten (von anderen Verkehrsteilnehmern) und der Kopf ist immer eingeschaltet. Da nützen die Hörbücher nichts und Nachrichten sind ja auch nicht immer nur voller freudiger Ereignisse.

Wenn ich heute hier sitze und mich über die Scheibe Käse ärgere, die ich nicht richtig auf das Brot gelegt habe (das ist ein plastisches Beispiel), dann ist es nur allzu deutlich, was die Fahrerei mit mir persönlich gemacht hat. Was ganz klar für mich bedeutet, dass ich alles daran setzen muss, diese Ruhe zu bewahren. Den Zustand zu halten. Was in der Konsequenz bedeutet, dass ich auf gar keinen Fall wieder dieses Pensum auf der Straße abreißen will. Und vielleicht muss ich das auch gar nicht mehr.

Natürlich gibt es neben dem Autofahren noch andere Dinge, die auch Stress verursacht haben und verursachen werden. Doch bin ich fest davon überzeugt, dass das Fahren auf unseren Straßen der größte Anteil am Stresslevel ist.

Homeschooling

Seit Wochen sind die Schulen mit gutem Grund geschlossen. Die Kinder müssen zu Hause von den Eltern bei den Aufgaben unterstützt werden. Für viele Eltern ist das eine ungemeine Belastung und führt durch die Fülle an Aufgaben zu immenser Anspannung. An dieser Stelle möchte ich eine Lanze für unsere Schule brechen.

Die Lehrer haben sich zusammengesetzt, virtuell natürlich, und sich Gedanken gemacht. Die Digitalisierung ist hier, wie bei vielen anderen Schulen, im Grunde nie ein Thema gewesen. Deswegen war es schlicht nicht möglich, von heute auf morgen ein entsprechendes Programm aufzubauen.

Die Aufgaben der Kinder kamen dann, in Abstimmung mit den Eltern, per E-Mail. Wer keinen Drucker zur Verfügung hatte, konnte die Arbeitsblätter auch per Post erhalten. Viele Aufgaben aber waren schon in den entsprechenden Arbeitsheften enthalten. Zum Beispiel konnten die Kinder sich ein Buch ihrer Wahl aussuchen, mit dem sie dann lesen üben sollten. Es gab in Französisch eine Lektion über den Senegal, in der im Internet ein Video und ein Text zu lesen waren (auf Deutsch), danach sollten Fragen beantwortet werden. Es gab auch eine Geschichte aus dem Senegal, die die Kinder bereits als Heft vorliegen hatten. Zusammen aus diesen Materialien wurden Fragen beantwortet, Vokabeln gelernt und ganz nebenbei viel über Senegal.

Für Sport sollte Jonglieren mit Bällen geübt werden. Mathe fand nur im Arbeitsheft statt. Es gab viele, viele Wiederholungen, um das Wissen zu festigen. Nur in Deutsch mussten neue Regeln auswendig gelernt und im Arbeitsheft angewendet werden. Alles in allem waren die Aufgaben durchgehend so dosiert, dass die Kinder nicht überfordert waren. Natürlich wurde in den Wochen nicht so gelernt, wie in der Schule.

Jetzt kommt aber das große Aber! Wir konnten hier an unserer Tochter eine Veränderung feststellen. Sie übernahm und übernimmt immer noch, die Verantwortung für ihre Schulaufgaben. Alles wird selbstständig erledigt, nur da wo Hilfe nötig ist, kommt sie von selber. Von der Klassenlehrerin haben wir auch positives Feedback bekommen. Es ist ein Reifeprozess vollzogen worden, der vermutlich unter anderen Umständen, anders verlaufen wäre. Wissen können wir das nicht zu 100%, aber wir sehen mit Wohlwollen, was bei dem pubertierenden Kind vor sich geht.

Nach dem die Kinder jetzt zwei Mal zu jeweils 4 Stunden (wöchentlich 1 Tag) in halbierten Klassen in der Schule waren, hat die Lehrerin auch den Eindruck, dass es den Kindern durchweg gut geht. Sie kommen mit der Situation besser zurecht, als von der Schulleitung angenommen wurde.

Es gibt sich noch, die positiven Meldungen.

Umwelt und Schutz

Seit Jahren beschäftigen wir uns mit Umweltschutz. Nicht mit den großen Themen, die regelmäßig die Nachrichten überfordern. Wir haben überlegt und sind übereingekommen, dass wir an der Abholzung des Regenwaldes nichts ändern können, wir können die Ölkonzerne und die Automobilhersteller nicht zur Natur hinführen. Alles, was wir als Einzelpersonen auf der großen Bühne versuchen, wird im Strudel aller Themen vollkommen aufgefressen. Also, machen wir es anders.

In der Theorie haben wir uns überlegt, dass wir auf viele umweltfeindliche Produkte verzichten werden, bzw. diese durch andere, umweltfreundlichere ersetzen. Das ist, auf den ersten Blick vielleicht ganz einfach, da es ja Bio-Läden gibt, in denen man dieses und jenes kaufen kann. Auf den zweiten Blick aber muss man hinschauen, ob und wie das denn wirklich einen Beitrag leistet, ob es überhaupt besser ist.

Bio und Demeter sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Für uns ist es aktuell wichtig, dass wir möglichst viel aus der Region kaufen. Damit wollen wir den CO2-Abdruck unserer Einkäufe reduzieren. Auf die Region kann ein solches Kaufverhalten zusätzlich einen positiven Einfluss haben. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern ist einfach der Überlegung entsprungen, dass z.B. ein Apfel aus Deutschland, aus NRW, viel weniger gereist ist, als einer aus Neuseeland oder Israel usw…

Natürlich sind uns da bisher auch sehr fragwürdige Menschen begegnet. Da wäre zum Beispiel ein Lieferant aus dem Umkreis, der es sich zur Aufgabe machte, seine Gedanken zu allen Themen der Landwirtschaft ganz vorne auf der Internetseite als die Wahrheit schlechthin darzustellen. Inhaltlich hatte er sicherlich oftmals den Punkt getroffen, doch war die Ausführung in einer Weise nervtötend, dass ich das genau 2x gelesen habe.

Auch liegen den Lieferungen der Bio-Läden Zeitungen oder Flyer dabei, die, wenn man genau hinsieht, mindestens fragwürdig sind. Nicht alle, aber einige. Ich habe mal versucht, davon etwas zu lesen. Am Ende war es mir wichtiger den Apfel zu essen, anstatt auf den teilweise esoterischen Unsinn näher einzugehen.

Wir haben hier im Ort den großen Vorteil, dass wir z.B. einen Obst- und Gemüseladen haben, der ausschließlich aus der Region anbietet. Die Waren in dem Laden haben nur wenige Kilometer bis zur Auslage hinter sich gebracht. Da ist nicht alles Bio, muss es auch nicht. Es ist trotzdem für uns ein gutes Gefühl, diese Sachen zu kaufen. Im Zweifel kennt man ja sogar den Hof, von dem die Sachen kommen.

Hm, jetzt bin ich ein wenig vom Thema abgekommen. Was ich eigentlich sagen wollte war, dass man sich durchaus mit seinem Kaufverhalten, mit den Herstellverfahren und Inhaltsstoffen seiner Einkäufe beschäftigen sollte. Dabei muss man aber auch so stark sein, dass einen die Gruppierungen aus der, ich nenne sie mal „Bio-Radikal-Ecke“, nicht beeinflussen. Ich muss das nicht lesen und wenn ich es lese, muss ich es kritisch hinterfragen (wie sonst alles eben auch).

Wenn man sich mit etwas beschäftigt, muss man aufpassen, dass nicht die falschen Leute einen in die Finger kriegen. Die beste Verteidigung dagegen ist eben das Hinterfragen und selber Informieren. Vor allem aus unabhängigen Quellen, die eben nicht von der Gruppe empfohlen werden, über die man sich informieren möchte.

Sobald ich persönlich merke, dass jemand etwas mit Fanatismus betreibt, drehe ich mich um und gehe weg. Ganz weit und komme nie wieder.